Italien öffnet „Schrank der Schande“

Parlamentarischer Untersuchungsausschuss in Rom soll klären, warum 50 Jahre lang die Gräuel von SS und Deutscher Armee im 2. Weltkrieg vertuscht wurden

ROM taz ■ Warum vertuschte Italien fast 50 Jahre lang hunderte während des II. Weltkriegs von Deutschen begangene Kriegsverbrechen? Dieser Frage geht seit Donnerstag ein Untersuchungsausschuss des italienischen Parlaments nach. Die Arbeit des Ausschusses dreht sich im Wesentlichen um ein Möbelstück: den „Schrank der Schande“.

Jener Schrank stand, mit Siegeln zugeklebt und die Türen der Wand zugekehrt, bis 1994 unbeachtet im Gebäude der Militär-Generalstaatsanwaltschaft in Rom. Sein brisanter Inhalt: knapp 700 Aktenbündel, die teils äußerst detaillierte Informationen über Mordtaten der SS und der Wehrmacht in den Jahren 1943–45 enthielten. Statt aber zu ermitteln, zogen es gleich drei aufeinander folgende Generalstaatsanwälte vor, das Material wegzuschließen. Die Chefs ließen die nachgeordneten Staatsanwälte die Zeit stattdessen lieber mit jenen Verbrechensermittlungen totschlagen, für die nur äußerst ungenaue Hinweise und Aussagen vorlagen – mit dem Resultat, dass von den frühen Fünfzigerjahren an so gut wie kein NS-Täter mehr in Italien abgeurteilt wurde.

So blieb zum Beispiel das Massaker im toskanischen Sant’Anna di Stazzema bisher ungesühnt. 1944 schlachtete dort die deutsche Armee 560 Menschen ab. Erst in dieser Woche konnte der Prozess gegen sechs noch lebende Verdächtige eröffnet werden.

Als erster Zeuge wurde vom Untersuchungsausschuss Antonio Intelisano angehört, jener Staatsanwalt, der schließlich den Schrank entdeckte. Intelisano erklärte zu den möglichen Motiven für die italienische Vertuschungspolitik, einerseits habe vermutlich der Wunsch der Regierung De Gasperi eine Rolle gespielt, im Kalten Krieg das Verhältnis zu Deutschland nicht zu trüben. Andererseits aber habe Italien auch ureigene Gründe für sein Handeln gehabt: Das Land war seinerseits mit einer Fülle von gegen italienische Kriegsverbrecher gerichteten Auslieferungsanträgen vor allem aus Jugoslawien konfrontiert, die systematisch negativ beschieden wurden. MICHAEL BRAUN