Schule des Sterbens

Hannelore Schlaffer war übel gelaunt, als sie ihr Erbauungsbüchlein übers „Alter“ schrieb

von RENÉE ZUCKER

Bei Suhrkamp gibt es eine neue Reihe. Erbauliche Ratgeberliteratur für Menschen mit Abitur und weiterem Bildungsbedarf. Die „Bibliothek der Lebenskunst“ hat sich zur Aufgabe gemacht, „die Frage nach der ‚richtigen‘ Gestaltung des Lebens“ aufzugreifen. Was die richtige Gestaltung des Alters angeht, bleibt die Antwort zweifellos aus und die aufgegriffene Frage hängt bis zum resignierten Ende in der Luft.

Hannelore Schlaffer ist Jahrgang 1939, Professorin für Neuere Deutsche Literatur und hat mehrere Schriften zur Literatur der Klassik und Romantik geschrieben. So ist sie kompetent und um Beispiele nicht verlegen. Den Leser im fortgeschrittenen Alter könnte also auch eine anregende Lektüre erwarten, die ihn auf verlockende Spuren setzt. Auch, weil Schlaffers Buch abgesehen von bildungsbürgerlicher Erbaulichkeit eine leicht entnervende Bitterkeit verströmt. Sie soll vermutlich Realismus suggerieren, vergällt einem aber die anregendste Lektüre, selbst wenn man noch so sehr bereit ist, den unvermeidlichen Tatsachen tapfer ins Auge zu blicken.

Zunächst gilt es jedoch, die Verwirrung darüber zu beschreiben, wann denn heutzutage überhaupt das Alter beginnt. Angesichts 50-jähriger werdender Väter, 60-jähriger Marathonläuferinnen und 70-jähriger Doktoranden scheint es jedenfalls nicht mehr ganz so eindeutig.

„Senioren besuchen heute gern die Universität, aber weniger, weil sie den traditionellen Vorstellungen huldigen, die dem Alter Geist und Würde zuordnen, als vielmehr, weil sie sich jung genug fühlen, um ein neues Leben zu beginnen. Die einzige Schule aber, in der sie wirklich noch etwas zu lernen hätten, wäre die des Sterbens, deren Abschlußexamen der Tod ist“, heißt es etwas rüde. Für Schlaffer ist das Älterwerden nicht nur eine Anhäufung von Jahren und Erfahrung, sondern vor allem von allerlei Problemen, selbst wenn man nicht krank ist.

„Altern schafft zunächst ein Problem des schönen Scheins und nicht der Krankheit. Der körperliche Verfall ist unausweichlich, die Krankheit jedoch zufällig. Häßlichkeit tritt im Alter auch ohne Krankheit auf. Die Schönheit geht, und mit ihr gehen, und zwar nicht nur für Frauen, Lebenschancen und Glücksgefühle verloren.“

Zwischendurch drängt sich bei der Lektüre der Eindruck auf, Frau Schlaffer habe einem Anfall von schlechter Laune nachgegeben und schnell einen Zettelkasten geleert, auf dem „Alter“ stand, weil sie bei Friseur oder Arztbesuch zu viele Frauenzeitschriften lesen musste und ihr die permanente „Alt, ja und?“-Affirmation auf den Keks ging. Was man verstehen kann, was aber beim Lesen eine leichte Gereiztheit hervorruft. Man hätte sich schon ein bisschen mehr Mühe fürs Geld erhofft.

Schlaffer kratzt mit knappen Beispielen an der bisherigen Rezeption des Themas, die eher dem Wunsch nach einem würdevollen, geistig und körperlich gesunden und dynamischen Altersleben gefolgt sei als der tatsächlichen Realität des Verfalls. Der Glauben an ein zufriedenes Leben im Alter ist in ihren Augen eine kulturelle Verbrämung, die die Wahrheit verbirgt. So wie seit Jahrhunderten jene Männer die Wahrheit verbergen, die über das Alter geschrieben haben. Von den Griechen über die Römer bis zu Bobbio sagten sie nichts über das eigene Dahinwelken – Montaigne ausgenommen.

Vielmehr reklamierten Männer für sich selbst und ihren Geist die ewige Jugend und somit erotische Bereitschaft, während sie die unangenehme Aufgabe des realen Alterns einfach auf die Frauen übertragen hätten. Bei denen sei das Älterwerden von vornherein mit dem Verlust von Schönheit gleichgesetzt – aber, so stellt Schlaffer nahezu befriedigt fest: „Längst werden viel zu viele zu alt, als dass nicht der Anblick des unzuverlässigen Körpers den schönen Abgang von der Bühne zunichte macht.“ Thomas Mann habe daraus eine Tugend gemacht: Indem er den Geist zu etwas Romantischem machte und damit im Goethe’schen Sinne zur Krankheit, habe er die Krankheit zur eigentlichen Auszeichnung des Alters erhoben.

Die gegenwärtige Bewunderung für „uralte“ Denker wie Ernst Jünger oder Hans-Georg Gadamer ist in Schlaffers Augen eher ein Staunen über die medizinische Kuriosität als die Überzeugung, dass sich ihrem Geist noch eine neue Welt erschlösse.

Aber alte Männer haben wenigstens noch Bewunderer. Schlimm dran sind die allein stehenden Frauen. Vor allem, wenn sie unangepasst sind. Mit dieser Drohung befindet sich Schlaffer in momentan angesagter Gesellschaft. Vor allem bei Suhrkamp. Dort tat jüngst Rainer Paris kund, dass alles Elend dieser westlichen Welt seinen Anfang mit der Emanzipation und Selbstverwirklichung der Frau genommen habe. Je origineller, desto elender.

Schlaffers Büchlein endet mit dem schlimmen Beispiel von Bettina Brentano, einer so genannten unwürdigen Greisein, die getan habe, „was jede intelligente, alternde Frau gerne täte: lieben, denken, schreiben, Reden schwingen, publizieren – eben: frei sein. Heute können sich Frauen all dies leisten – außer der Liebe –, denn entgegen allen Behauptungen der Presse ist das Heer der einsamen, verlassenen alternden Weiblichkeit groß und wird es bleiben. Es gibt keine alte Venus.“

Das stimmt. Genauso stimmt: Schon immer gab es mehr alte Frauen, weil Männer früher sterben – und es gibt auch keinen alten Adonis. Aber was soll uns das sagen, außer dass es einen Anfang und ein Ende gibt?

Hannelore Schlaffer: „Das Alter. Ein Traum von Jugend“. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, 112 Seiten, 15 Euro