Schmidt macht Ernst

Nach acht Jahren macht der Fernsehunterhalter und Gesellschaftskritiker Harald Schmidt am Jahresende Schluss mit seiner Late Show bei Sat.1. Wie kommt’s? Und was bedeutet es?

Vielleicht tritt er ja gar nicht ab. Vielleicht gibt es die Harald Schmidt Show schon im Januar auf einem anderen Sender oder sogar weiterhin bei Sat.1, und alles war nur ein weiterer Stein in dem Mosaik der selbstreferentiellen Inszenierung dieser Show und vor allem ihres Moderators. Vielleicht will Harald Schmidt ja einfach mal sehen, was passiert, wenn er seinen Abschied ankündigt.

Zuzutrauen wäre es ihm. Was ist jemandem nicht zuzutrauen, der in seiner Sendung mit seinem Redaktionsleiter um die Wette rechnet, Ikea-Regale zusammenbaut, Waschbecken soziologisch analysiert, ein Jugendorchester zum gemeinsamen Musizieren einlädt, einen seitenlangen FAZ-Text rezitiert und irgendwann das Licht ausmacht und den Bildschirm minutenlang schwarz lässt?

Langweiliger kann Fernsehen nicht sein. Spannender auch nicht. Denn zum Interessanten gehört immer auch das Unerwartete. Das hat Harald Schmidt allemal verlässlich geliefert – und wenn es gelegentlich in nichts anderem bestand als in der fassungslosen Überraschung: Das kann er doch jetzt nicht ernst meinen, das macht er doch nicht wirklich, das ist doch keine Sendung. Er meint es ernst. Er macht es wirklich. Es ist eine Sendung. Und sie ist revolutionär.

Der Spiegel-Gründer Rudolf Augstein hat für sein Blatt einst die Losung ausgegeben: Wir machen die Zeitung, die wir selbst gerne lesen. Diese Maxime scheint inzwischen für das Magazin nicht mehr zu gelten, andernfalls müssten die Neigungen der Spiegel-Redaktion Anlass zu ernster Sorge bieten. Sie gilt auch sonst fast nirgendwo mehr im Medienbereich. (Nicht einmal immer in der taz.) Stattdessen hat sich die quoten- und auflagenorientierte Zielgruppenanalyse durchgesetzt. Weniger höflich formuliert: Die meisten Medienmacher glauben, das Publikum sei dümmer, sentimentaler und triebgesteuerter als sie selber, und sie nehmen diese Überzeugung zur Richtschnur für ihre Planung. Nicht allein bei der Bild-Zeitung, sondern auch in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten.

Harald Schmidt tut das nicht. Er macht das, wozu er Lust hat. Das behauptet er jedenfalls, und natürlich gibt es gute Gründe, auch das für eine Pose zu halten, möglicherweise geboren aus dem Mut der Verzweiflung: schließlich ist er mit allen Versuchen gescheitert, das breite Publikum zu erreichen. Die große Samstagabendunterhaltung war nicht seine Bühne, und trotz Zoten und Minderheitenwitzen erreichte er in den Anfangsjahren seiner Late Night Show als „Dirty Harry“ nur wenig mehr als eine Million Zuschauer. Wenn die größtmögliche Anpassung an den vermuteten Massengeschmack nicht funktioniert, dann kann man das mit der Anpassung auch ganz lassen. Mag er sich gedacht haben.

Spielt es eine Rolle, ob Harald Schmidt tatsächlich überzeugt ist von dem, was er tut? Nicht die geringste. Es ist ja auch völlig egal, ob der Moderator tatsächlich so hypochondrisch und zwangsneurotisch ist, wie er gelegentlich behauptet. Allein auf die Wirkung, die er mit seiner Inszenierung erzielt, kommt es an. Die ist groß: Schmidt zwingt sein Publikum zur Selbstreflexion.

Was langweilt mich, warum langweilt es mich, worüber lache ich, was finde ich blöd, womit identifiziere ich mich, wann schalte ich ab, und sollte ich nicht doch noch eine Minute dranbleiben, weil irgendeine Pointe, die alles auflöst, ja eigentlich jetzt noch kommen muss? Sie kommt nicht – die Pointe sind die Zuschauer selbst und ihr Umgang mit dem Medium. Harald Schmidt hat mehr für die Transparenz der Mediengesellschaft und für die Emanzipation davon geleistet als viele Lehrstühle der Kommunikationswissenschaft. Die werden sich noch zu rächen wissen.

Mit medienkritischen Absurditäten allein wird man nicht zur Kultfigur. Handfestes muss hinzukommen: bösartige Seitenhiebe auf Politiker und andere Mächtige, ein bisschen Klatsch, ein wenig Denunziation und etwas seichte Unterhaltung. Jeder Kabarettist ist ein Kind seiner Zeit. Harald Schmidt hält es erkennbar nicht für seine Aufgabe, über seine Sendung hinaus als Person kenntlich zu sein. Keine Unterschriften unter Bürgerrechtsappelle, keine Mitgliedschaft in Wählerinitiativen – stattdessen Werbeträger für zahlreiche Produkte. Trotziger kann man dem Verdacht nicht entgegentreten, ein Idealist zu sein.

Harald Schmidt gibt den zynischen Moralisten, parteipolitisch nicht festgelegt, in einem etwas diffusen Sinne wertekonservativ und ein unbeirrbarer Anhänger der Aufklärung: Wer das für einen Ausweis modischer Beliebigkeit hält, unterschätzt den Wert einer ratlosen Suche nach Orientierung. Wenn man von sich nicht behaupten mag, im Besitz der allein seligmachenden Wahrheit zu sein, ist das noch kein Hinweis auf Oberflächlichkeit.

Hilfestellung bei der Ausgestaltung eines Weltbildes liefert der Moderator nicht. Er ist einflussreich genug, um Themen zu setzen und Leute der Lächerlichkeit preiszugeben. Aber er belässt es auch – konsequent – bei der Detailkritik. Kein Sturm auf Barrikaden, nicht einmal auf niedrige. Darin unterscheidet er sich von großen kabarettistischen Vorgängern wie Dieter Hildebrandt. Bei denen bestand nie ein Zweifel, auf welcher Seite sie stehen – aber sie lebten ja auch in einer anderen Zeit, deren Polarisierungen vermutlich gar nicht dramatischer, aber doch offenkundiger waren als die heutigen.

Harald Schmidt ist berühmt geworden, aber sein Publikum ist noch immer klein. Jung, überdurchschnittlich gebildet, und es wird auch größer – aber klein ist es eben noch immer. Es ist eine merkwürdige Ironie, dass eine Sendung bislang ausgerechnet von einem Privatsender ausgestrahlt wurde, die nur gut fürs Image ist, aber kaum fürs Geschäft. Wahrscheinlich tritt er eben doch ab. Unternehmen sind berechenbarer als ihre individuellen Aushängeschilder. Es ist nicht anzunehmen, dass Sat.1 es sich weiterhin leisten wird, in einer kleinen Nische den Gesetzen des Marktes zu widerstehen.

BETTINA GAUS

Eigentlich läuft für Roger Schawinski alles nach Plan. „Sat.1 muss überraschender werden“, hatte der neue Senderchef aus der Schweiz selbstbewusst am Wochenende im Züricher Tages-Anzeiger verkündet. Und bekommt gleich am nächsten Werktag die erste große Überraschung geliefert: Harald Schmidt macht Schluss.

Natürlich redet die Konzernzentrale der ProSiebenSat.1 AG kosmetisch von einer „Kreativpause“, für die nach acht Jahren zuletzt werktäglicher Show allseits Verständnis geheuchelt wird. Doch dass die Realität anders aussieht, zeigte schon der erste Satz der gestern am späten Vormittag verbreiteten AG-Mitteilung: „Die Harald Schmidt Show in Sat.1 wird im nächsten Jahr nicht fortgesetzt.“

So hatte sich Schawinski seine Reise vom beschaulichen Zürich, wo er lokale Privatsender befehligte, zum großen Fernsehen nach Berlin wohl kaum vorgestellt. Ausgerechnet die selbst ernannte Mediennutte Harald Schmidt schafft einen in der Opportunistenbranche Fernsehen eigentlich unmöglichen Akt der Loyalität: zum gefeuerten Exchef von Sat.1, Martin Hoffmann.

Gerechnet hatte damit niemand: Im aktuellen Spiegel antwortet Schawinski auf die Frage nach seiner Angst vor dem Abwandern des Harald Schmidt noch mit einem klaren „Nein. Schmidt war der Erste, den ich Freitagmorgen angerufen habe. Wir werden uns diese Woche treffen.“

Es ist peinlich genug, dass gestern die meisten Spiegel-Leser wohl schon die Nachricht vom Schmidt-Rückzug gehört hatten, bevor sie sich zum Schawinski-Interview auf Seite 212 des aktuellen Hefts vorgearbeitet hatten. Und dort ist dann auch noch nachzulesen, wie der im Phrasendreschen nicht eben sparsame Schweizer („Kommunikation ist für mich Berufung und Beruf zugleich“) noch einen draufsetzt – und sich quasi selbst in die Schmidt Show einlädt: „Wenn ich eingeladen werde, warum nicht? Ein Sender wird neben seinen Stars auch durch seinen Kopf repräsentiert.“ Eben.

Martin Hoffmann hat übrigens nie bei Schmidt deutsches Wasser getrunken. Doch auch nach diversen Grimme-, Deutschen-Fernseh- und einem Schock weiterer TV-Preise hat sich Schmidt bei Hoffmann und seinem Vorgänger Fred Kogel beinahe gebetsmühlenhaft bedankt, die Sendung machen zu dürfen. Dass Sat.1 trotz bis heute nicht eben prachtvoller Quoten und lange vor dem Preissegen immer an die Sendung glaubte und seine Launen wie kruden Ideen ertrug, hat Schmidt nicht vergessen. Das ist selten im TV-Geschäft. Und auch wenn Hoffmann nie bei der „Schmidt Show“ im Sessel saß: Die beiden hätten ein Traumpaar abgegeben. Immerhin für die Werbemeute und ihren journalistischen Anhang wurde das auf der jährlichen Programmschau „Telemesse“ auch schon zelebriert.

Aktuell äußert sich keiner der drei Protagonisten. Und auch wenn es offiziell heißt, Sat.1 und Schmidt hätten „vereinbart, Gespräche über eine zukünftige Zusammenarbeit zu führen“, ist das wenig mehr als Augenwischerei. Monatelang zogen sich die Verhandlungen zwischen Schmidt und der ProSiebenSat.1-AG hin. Anfang Juni, bei einer Pressekonferenz zur feierlichen Verkündigung des zusätzlichen fünften Schmidt-Auftritts am Montag, war schon von Plänen für das Jahr 2004 die Rede. Mit erlahmender Kreativität bei Schmidt, seinem Komoderator Manuel Andrack & Co. hat der Rückzug nichts zu tun. Dafür muss er endgültig sein.

Denn Schawinski hat in blanker Ignoranz Schmidt einfach wörtlich genommen. Nach der von seinem Landsmann und ProSiebenSat.1-Chef Urs Rohner eingefädelten Machtübernahme vertraute er offenbar solchen Sätzen wie: „Für mich ist es menschlich ja ein bisschen hart, aber als Mediennutte muss ich mich eben auf den neuen Chef einstellen. Das ist in diesem Job so. Wessen Brot ich ess, dessen Lied ich sing.“ Schmidt hatte das in seiner Sendung am vergangenen Donnerstag gesagt.

Wie wörtlich der neuen Chef seine Mediennutte nahm, war wiederum im Tages-Anzeiger zu lesen: Schawinski war sogar ein bisschen stolz drauf. Dass Harald Schmidt Witze über ihn mache, störe ihn „überhaupt nicht“. Im Gegenteil, das sei doch der letzte Stein in der Krone, den man erhalten könne. Dabei hatte Schmidt gar keinen Witz gemacht: „Nur die Kasse zählt“ – diese Show wollte er dem neuen Herrn über Sat.1 andienen – ist tatsächlich das Credo der neuen Inhaber um Haim Saban und seine Londoner Investmentbanker, deren Namen Harald Schmidt schon vor einigen Wochen zur Sicherheit vor laufender Kamera auswendig lernte.

Jetzt ist der neue Chef gleich zu Anfang nicht nur um des Vorgängers willen unbeliebt, sondern auch noch unten durch: „Eine solche Trauerarbeit muss stattfinden“, salbaderte Schawinski über die Sat.1-Mitarbeiter, die nach dem plötzlichen Raußschmiss von Hoffmann heulend im Sender saßen. Diese „Trauerarbeit“ dürfte für die meisten bei Sat.1 seit gestern ein bisschen leichter geworden sein.

Für sie stellt sich die Frage nach der „Mediennutte“ bei aller Loyalität allerdings etwas anders als für den Entertainer Schmidt, der pro Sendung bis zu – von Sat.1 stets dementierte – 40.000 Euro bekommen haben soll.

Aber vielleicht hat Schawinski ja auch so was wie eine Reiserücktrittsversicherung.

STEFFEN GRIMBERG