Aufrechter Stand

Früher wurden sie zu Tran verkocht, heute schickt man ihnen Pullover: Pinguine. Ein Bildband würdigt diese Vögel liebevoll

von JAN FEDDERSEN

Es gibt viele Geschichten über sie, mehr als über die Lieblinge der Menschen in der Tierwelt, die Bären. Über die existieren fast nur Kuschelantasien, kaum Projektionen zu den Themen Würde und Melancholie, Nähe und Distanz: Pinguine machen staunender als Teddys, weil über sie wahre Märchen erzählt werden können. Eins spielt in Chile, kurz vor Kap Horn, wo die Regierung 1993 einen Fabrikbau förderte, um die landschaftliche Brache zu besiedeln.

Blöde nur, dass das auch just jene Gegend ist, in der Macaronipinguine an Land zu gehen pflegen, für eine kleine Pause auf dem Weg von der Antarktis zu den Galapagosinseln. Die Fabrik und die Siedlung jedenfalls störten sie nicht – so gingen sie munter ihrer Wege, also auch über den Marktplatz des Dorfs, der vor seiner menschlichen Bebauung nichts als eine Art Kontakthof der Macaronis war.

Jedenfalls: Die Pinguine ließen sich ebenso wenig vertreiben wie die Menschen aus der Ruhe bringen. Eines Tages hatte man sich aneinander gewöhnt. Das war, als Pinguine auf einige junge Mädchen des Dorfs zugingen und sie einfach nur anguckten. Die Teenager waren irritiert. Also fingen sie an, die Nägel der Pinguine anzumalen – wobei es heißt, diese hätten sich gegen die Pediküre nie gewehrt, vor allem nicht, wenn ein Mädchen gerade purpurnen Lack parat hatte. Wie es heute um diese Sitte steht, ist leider nicht überliefert.

Verbürgt ist aber, dass jene Anekdote nicht stimmt, die britische Militärpiloten erzählten, als sie von ihrer Arbeit (Verteidigung der Falklandinseln gegen Argentinien) im Südatlantik zurückkehrten. Angeblich kippten die Pinguine nach hinten platt um, wenn Helikopter über sie hinwegflogen – wohl hypnotisiert vom Blick in die Rotoren. Üble Nachrede: Pinguinforscher fanden heraus, dass die Tiere tatsächlich interessiert zu Hubschraubern emporgucken, aber keinesfalls ihren Sinn für den aufrechten Stand verlieren.

Wie sehr den Menschen mittlerweile der Sinn nach Solidarität steht, war vor knapp vier Jahren zu beobachten. Nach einem Tankerunglück vor Südafrika mussten tausende Pinguine auf eine andere Insel evakuiert werden. Für die schon ölverschmierten Tiere wurden aus aller Welt Pullover geschickt – in XXS. Mit Rollkragen, Emblemen von Sportvereinen, in komplizierten Mustern. Fundamentalisten wandten ein, ein solches Kleidungsstück sei untierisch, aber Tierrealos gaben zu Bedenken, dass die Pullover die Pinguine lebensrettend daran hinderten, sich Ölklumpen aus dem Gefieder zu pulen. Auch dies ein Beweis, dass die Welt irgendwie besser wird: dass Pinguine nicht mehr wie einst von Antarktiskolonialisten zu Tran verkocht werden.

Im Übrigen kann kein Tier als lakonischer (nichts kann sie vom Weg abbringen), eigensinniger (in der Durchsetzung ihrer Brutziele) und genderbalancierter (die Kinder werden paritätisch männlich-weiblich großgezogen) bezeichnet werden. Und sie gehen (nein, das ist kein Watscheln, sondern ein stetes, fast melancholisch anmutendes Vorankommen und Warten) stets, als umgebe sie eine besondere Würde. Sie hören nicht mal auf die Antarktistouristen, die sich schon mal am fischigen Geruch der Pinguine gestört haben.

Boris Culik hat das schönste Buch („Pinguine. Spezialisten fürs Kalte“, BLV, München 2002, 164 Seiten, 39,90 Euro) über diese schwimmenden Vögel geschrieben, das je anzugucken war. Es ist unbedingt empfehlenswert, weil es alles Wissenswerte sagt und alles Liebenswerte nicht verschweigt.

JAN FEDDERSEN, 46, ist taz.mag-Redakteur