Kein Erbarmen mit den Armen

Internes Papier der Barmer Ersatzkasse: Sozialhilfeempfänger sollen als Neumitglieder abgeschreckt werden. Vorstand beklagt ungleiche Belastung

BERLIN taz ■ Das Papier ist brisant: Neukunden, die Sozialhilfe beziehen, sollten von den Mitarbeitern der Barmer Ersatzkasse „unauffällig“ beeinflusst und davon überzeugt werden, „die Barmer nicht als neue Kasse zu wählen“. So steht es in einem Schreiben der Marketingabteilung der Barmer Zentrale an die Regionalgeschäftsführer, über das die Hannoversche Allgemeine Zeitung berichtete.

Der Bericht rief über die Feiertage allerorten Empörung hervor – doch damit wird nur öffentlich, was viele Kassen heimlich praktizieren: Arme möglichst davon abzuhalten, genau diese Krankenkasse zu wählen. Das Thema ist aktuell, weil Sozialhilfeempfänger vom 1. Januar 2004 an in einer Krankenkasse versichert sein müssen. Etwa ein Fünftel der Sozialhilfeempfänger sind bisher in keiner Krankenkasse Mitglied; genau diese Gruppe wird jetzt entweder von den Sozialämtern einer Kasse zugeteilt oder aber aufgefordert, sich eine Kasse zu suchen.

Diese Entwicklung erzeugt nicht nur bei der Barmer Ersatzkasse Unbehagen. Die Sozialämter neigen dazu, ihre Armen vor allem bei der AOK, der BEK oder der DAK anzumelden. Auch wenden sich Sozialhilfeempfänger eher an eine große Krankenkasse, die mit einer Geschäftsstelle vor Ort vertreten ist und daher persönlich aufgesucht werden kann. Es könne jedoch nicht angehen, dass sich die Risiken auf „einige wenige Versorgerkassen“ verteilten, bemängelte der Barmer-Vorstandsvorsitzende Eckart Fiedler. Die gesetzlichen Krankenkassen müssen laut Gesetz jeden Kunden aufnehmen, auch die Armen, obwohl diese mit ihren geringen Beiträgen und meist schlechterem Gesundheitszustand unwillkommene Mitglieder sind.

Der Gesundheitsberater von Sozialministerin Ulla Schmidt, Karl Lauterbach, sagte der taz, das Anliegen der Barmer müsse man ernst nehmen, auch wenn das interne Schreiben „ein Fehler“ sei. Die großen gesetzlichen Kassen müssten jedoch überproportional stark die Ärmeren und Kränkeren schultern, daher benötige man einen besseren finanziellen „Risikostrukturausgleich“ zwischen den Kassen, um die Belastungen durch ärmere und kränkere Mitglieder unter den Versicherern gerechter zu verteilen. BARBARA DRIBBUSCH