Und endlich wünschen wir

Zwischen Feuilleton und Boulevard – das Themen-Barometer im Januar: Depressionen und Wünsche 2004, die Grundversorgung, Trittin und der Ökostaat – und natürlich Abschließendes zum Bachelor

VON PETER UNFRIED

Wünsche, Depressionen: Wer es sich leisten will oder kann, hüte sich vor Leuten, die einem erzählen wollen, die Nuller-Jahre seien das Jahrzehnt der Depression. Der Kater nach den lustigen bzw. sinnentleerten Neunzigern, in denen aber immerhin der Arztbesuch noch frei war und das Geld zum Fenster reinflog usw.

Manche hat möglicherweise zu viel Spaß trübsinnig gemacht, etwa Harald Schmidt. Oder Guido Westerwelle. Auch hat jeder selbstverständlich das Recht, deprimiert zu sein. Wie auch jeder für sich entscheiden darf, ob ihm Reformen zu klein sind, Einschnitte zu groß oder eh das Schlimmste kommt, wenn sich etwas ändert. Es gibt aber (noch) keine Pflicht, deprimiert zu sein. Auch keine Gesundheitsministerin, die da hinter her ist (auch wenn manche das annehmen).

Was die Verfestigung des Themas extrem befördert ist die Tatsache, dass speziell Journalisten deprimiert zu sein scheinen. Es ist auch hart: Wie soll denn einer in diesem Land noch kühl, analytisch, flott oder schön zynisch bleiben, wenn sein Dienstwagen auf dem Spiel steht, wenn nicht sogar sein EIGENER Arbeitsplatz? So wünscht sich längst nicht nur die in Demut geübte taz vom neuen Jahr prioritär neue Abonnenten, sondern, z. B. auch die Zeit. Und das „Streiflicht‘“ der SZ wird gar zum Gebet, wenn es seufzt: „Und endlich wünschen wir uns, dass die schreckliche, schwarze, ja schwärzeste Periode für die Zeitung, auch für dieses Blatt, vorbei sein möge.“

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Fernsehen: Die Diskussion um die Qualität bzw. mangelnde Qualität des öffentlich-rechtlichen bzw. Privatfernsehens hält an und lässt sich munter durchs Jahr ziehen. Bei Ersteren hat man ja in einem skrupulösen Anfall stellvertretend die arme Patricia Riekel („Bunte TV“) ans Kreuz geschlagen – aber für die Erlösung von allen Sünden bzw. für die Rechtfertigung einer Gebührenerhöhung reicht das nicht.

Bei den Privaten wird allgemein die viel diskutierte RTL-Serie „Der Bachelor“ (sprich: Ba-He-Lor) als Beweis für die Niveau- bzw. Hoffnungslosigkeit der Sache gedeutet. Warum nur? Jeder einigermaßen regelmäßige Medienkonsument hatte doch sofort erkannt, dass es sich um eine Sendung handelte, die eigens dermaßen peinlich, künstlich und zudem unkomisch/unintelligent inszeniert war, damit Bundestagsabgeordnete aller Fraktionen, der ORF-Programmbeirat sowie etwas überraschend ein SZ-Kritiker („Alles nur Lüge“) ihre Verlogenheit, Verkommenheit und Menschenverachtung lautstark beklagen konnten. Was tun: Diskutieren? Oder verbieten? Manch Programmverantwortlicher würde argumentieren (müssen), dass der Mensch ein Grundrecht auf schlechte Unterhaltung habe, ja dass es also praktisch zur Grundversorgung gehöre. Wie, sagen wir, Fußball, Kultur („Musikantenstadl“) oder Information (etwa das minutenlange Antrailern von nachfolgenden „Bambi“-Sendungen in der Tagesschau.).

„Mittlerweile ist Boulevard überall“, sagte die grade zurückgekehrte Expertin Ich-bin-Barbara-Eligmann. Das stimmt nicht. Aber wahr ist: Wer etwa Eligmann entrinnen will und zu den Öffentlich-Rechtlichen zappt, muss Glück haben, wenn er nicht binnen fünf Minuten Heidi Klum aus Bergisch-Gladbach serviert bekommt, samt der dazugehörigen Grundversorgung (Stand der Beziehung, Stand der Schwangerschaft, Zustand der sekundären Geschlechtsmerkmale).

Ein weiterer Grund, deprimiert zu sein? Mit schlechter Unterhaltung ist es wie mit Drogen und/oder der Regierungsverantwortung: Man kann es lassen. Oder damit auch dosiert und, hm, vernünftig umgehen. (Wer es sich zutraut: „Der Bachelor“ läuft noch mal am Mittwoch.)

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Der Öko-Staat: „Schlagzeilen, die wir uns für 2004 wünschen“, hieß eine Seite in Bild zum Jahreswechsel. Neben dem angenehm postspringerischen Dadaismus der Udo-Röbel-Jahre („Nobelpreis für deutsche Forscher: Susan Stahnkes Vater entdeckt“) finden sich auch Wunsch-Schlagzeilen, die man wohl ernst nehmen muss. Zum Beispiel: „Armstrong gedopt – alle Toursiege weg!“. Wozu sollten „wir“ faire Sportsleute uns das wünschen? Wenn wir nicht darauf spekulierten, der deutsche Radprofi und ewige Tourzweite Jan Ullrich – bekanntlich im Gegensatz zu Armstrong überführter Doper – rücke damit nachträglich auf?

Die überzeugendste Wunsch-Schlagzeile für 2004 ist freilich diese: „Rücktritt! Trittin lebt jetzt vom Dosenpfand“. Der Bundesumweltminister als natürlicher Feind – das ist die alte Schule.

Man wird sehen, wie bemüht man in den nächsten Monaten den Mann, die originär grünen Themen und die ökologischen Minimalstandards, für die er steht, aufweichen und lächerlich machen will.