Behinderte werden Kommunen zu teuer

Gemeinden wollen weniger für Eingliederung von Behinderten bezahlen. Steuern nicht weiter senken

„Man muss darüber reden, ob sich der Einzelne gegen Behinderung privat absichern muss“

BERLIN taz ■ Angesichts ihrer Finanznot drängen die Kommunen nun auf eine Veränderung der so genannten Eingliederungshilfe für Behinderte. „Das entwickelt sich zunehmend zu einem finanziellen Sprengsatz“, sagte Gerd Landsberg, Präsidiumsmitglied des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (DStGB), gestern in Berlin. Es müsse eine „Diskussion darüber geben, ob es nicht die Pflicht jedes Einzelnen ist, sich gegen das Lebensrisiko der Behinderung privat abzusichern“.

In der Eingliederungshilfe für Behinderte, die bisher im Rahmen der Sozialhilfe geregelt ist, gebe es „enorme Kostenzuwächse“, heißt es in der Jahresbilanz des Städtebundes. Im Jahr 2003 erhielten 578.000 Menschen Eingliederungshilfe, in zehn bis fünfzehn Jahren werde sich die Zahl der Betroffenen verdoppeln, schätzen die Kommunen. Städte und Gemeinden könnten diese Last nicht mehr alleine schultern, sagte Landsberg. Ursache der Zunahme seien vor allem Fortschritte in der Medizin.

Die Eingliederungshilfe solle daher aus dem Sozialhilfegesetz ausgekoppelt werden – und die Kosten Bund und Ländern zugeschlagen werden. Auch die Eltern erwachsener behinderter Kinder sollen stärker zum Unterhalt herangezogen werden. Das günstigere ambulant betreute Wohnen sollen im Gegenzug ausgebaut werden.

Der Präsident der Städtelobby, Christian Schramm, sieht die Kommunen nach wie vor in der schwersten Finanzkrise seit der Gründung der Republik. Die Kommunen hätten im vergangenen Jahr 141,45 Milliarden Euro eingenommen, während sich ihre Ausgaben auf 151,25 Milliarden Euro beliefen – eine „dramatische Deckungslücke von fast 10 Milliarden Euro“ nennt Schramm die Differenz.

Die Kommunen fordern daher weiter eine echte Gemeindefinanzreform – und Nachbesserungen beim Hartz-IV-Gesetz, das der Bundestag im Dezember beschlossen hatte. So bekommen Arbeitslose, die eigenes Vermögen besitzen, künftig weniger Geld vom Bund. Eigenes Vermögen müsse sich jedoch auch mindernd auf die Leistungen der Kommunen auswirken, forderte Landsberg. Auch die Entscheidung des Vermittlungsausschusses, nach der die Kommunen künftig selbst Langzeitarbeitslose betreuen können, stößt auf wenig Begeisterung. „Ich kenne so gut wie keine Kommune, die daran interessiert ist“, sagte Landsberg. Das „Optionsmodell“ war auf Drängen von Hessens CDU-Ministerpräsident Roland Koch zustande gekommen.

Schramm forderte die Länder auf, ihre Einsparungen an die Kommunen weiterzugeben. Da die Länder künftig etwa nicht mehr für Wohngeld aufkommen müssten, die Kommunen aber die Unterkunftskosten für alle Sozialhilfebezieher tragen, müsse mehr Geld für Stütze zur Verfügung gestellt werden. Landsberg drohte sogar: Falls die Kommunen nicht mehr Geld bekämen, sehe er keinen Spielraum für eines der Vorzeigeprojekte der Regierung – den Ausbau der Ganztagsbetreuung. Schramm warnte zugleich vor weiteren Steuersenkungen: „Niedrigere Steuersätze führen zu Einschränkungen bei den Staatsausgaben.“ ANDREAS SPANNBAUER