Die reine Lebenskraft: „Paraíso“ im 3001
: Blick in den Alltag

Ratternd schiebt sich der alte gelb lackierte Chevrolet den Hügel hinauf. Kurz bevor der Scheitelpunkt des asphaltierten Buckels erreicht ist, erstirbt die Maschine mit einem lauten Knall. Fluchend legt Rafael den Leerlauf ein und lässt den altersschwachen 57er Chevi zurückrollen. Mit dieser Szene beginnt und endet Paraíso. Rafael, der latent nach Benzin fragende und oftmals übellaunige Taxifahrer, ist der Chauffeur von Madera Limpia, einer kubanischen Rap-Band aus Guantánamo. Durch einen Zufall lernte Sorin Dragoi die Band bei einem Showcase in Havanna kennen und der Funke sprang über.

Dragoi ist Kameramann, und gemeinsam mit Regisseurin Alina Teodorescu war er in Kuba, um für einen anderen Film zu recherchieren. Schnell war die Idee geboren, etwas über Madera Limpia und den Alltag auf der Insel zu machen, erzählt Alina Teodorescu. „Die Lebenskraft der Menschen hat mich beeindruckt“, sagt die in Rumänien und Deutschland aufgewachsene Regisseurin.

Diese Kraft spielt in Paraíso, zu Deutsch Paradies, auch die Hauptrolle, denn der Film ist alles andere als ein Porträt einer Band, sondern ein tiefer Einblick in den kubanischen Alltag im Osten der Insel. Der ist nicht gerade paradiesisch, sondern geprägt vom alltäglichen Mangel: Vom Warten auf ein Transportmittel, um die Eltern auf dem Land zu besuchen; vom Fehlen von Baumaterialien, um das Dach zu reparieren, durch das es in den Proberaum von Madera Limpia tropft, oder vom Suchen nach Benzin oder Nahrungsmitteln.

Den schwierigen Alltag meistern die Bandmitglieder allerdings mit viel Lebensfreude und „diese persönliche Erfahrung wollte ich in dem Film auch mitteilen“, sagt die Regisseurin. Damit hat sie ein Fenster in ein anderes Kuba geöffnet, denn in Guantánamo passiert im Gegensatz zu Havanna oder Santiago de Cuba gar nichts. Der Ort döst vor sich hin, nur beim Karnevel ist die ganze Stadt auf den Beinen. Angebote für die Jugendlichen der Stadt gibt es nicht, klagt Yasel, Bandleader von Madera Limpia und wichtigster Protagonist in Paraíso. In Guantánamo wartet kein Ry Cooder auf den musikalischen Nachwuchs der Insel, der seinen eigenen Rap entwickelt. HipHop mit einer dicken Portion Changüi, Nengón und Kiribá, den musikalischen Genres der Region, spielen Yasel und Co. In ihren Texten nehmen die sieben Musiker kein Blatt vor den Mund. Rappen über den grauhaarigen Touristen, der einem mit seinen Dollars die Freundin ausspannt, genauso wie über die Langeweile, die Frustrationen und die eigenen Träume.

Dieser Alltag in Guantánamo, das nur über den ungeliebten US-amerikanischen Militärstützpunkt über die Landesgrenzen bekannt geworden ist, steht im Mittelpunkt von Paraíso. Ein Film abseits der Buena Vista-Klischees. Knut Henkel

täglich, 19 Uhr, 3001