Der Lehrer, das neutrale Wesen

Die niedersächsische Landesregierung nutzt den Kopftuchstreit, um Lehrern politische Meinungsäußerungen in den Klassen komplett zu verbieten. Aber Kreuz und Kippa sollen weiter in den Schulen erlaubt sein. GEW fürchtet Berufsverbote für Lehrer

AUS HANNOVER JÜRGEN VOGES

Im Windschatten der Kopftuch-Debatte will die CDU/FDP-Landesregierung in Hannover den niedersächsischen Lehrkräften möglicherweise strittige politischen Äußerungen im gesamten Schulbereich untersagen. Die Schulgesetzänderung, die das Landeskabinett unter Christian Wulff morgen auf den Weg bringen will, „beschränkt sich nicht auf die Frage des Tragens von Kopftüchern“, wie es in der Begründung heißt. Man wolle den niedersächsischen Lehrkräften in der Schule auch alle „politischen Bekundungen“ verbieten, „die geeignet sind, den Schulfrieden zu gefährden oder zu stören“. Lehrervertreter fürchten Zensur: Diese Regelung könne „im Zweifelsfall auch als Knebel oder als Maulkorb für politisch engagierte Lehrer“ eingesetzt werden, kritisiert der Sprecher der niedersächsischen GEW, Richard Lauenstein.

Bislang sind Niedersachsens Schulen gut ohne eine gesetzliche Regelung ausgekommen, die eine politische Mäßigungs- oder Neutralitätspflicht der Lehrkräfte festgeschreiben würde, die über die Verfassungstreue hinausgeht. „Über Fragen von zeitgeschichtlichen Interesse durfte an den Schulen stets offen diskutiert werden und dabei durften auch Lehrkräfte ihre Meinung äußern, natürlich ohne sie den Schülern aufzwingen“, sagt GEW-Sprecher Lauenstein.

Das klingt im Gesetzentwurf nun anders: „Lehrkräfte dürfen in der Schule keine politischen, religiösen, weltanschaulichen oder ähnlichen Bekundungen abgeben, die geeignet sind die Neutralität des Landes gegenüber Schülerinnen und Schülern in Frage zu stellen oder den Schulfrieden zu gefährden oder zu stören“, lautet der umstrittene neue Gummiparagraf. Unter „Bekundungen“ sind alle Äußerungen von Lehrkräften durch Wort, Schrift, Bild oder auch ein Symbol zu verstehen.

Angehenden Lehrern droht die Gesetzesänderung gleich die Höchststrafe an: „Wer nicht die Gewähr für die Einhaltung des Satzes 1 [oben zitiert, J. V.] in der gesamten voraussichtlichen Dienstzeit bietet, darf weder in den öffentlichen Schuldienst eingestellt werden, noch ein Amt an einer öffentlichen Schule erhalten“. Nach Auffassung von Richard Lauenstein öffnet diese Formulierung „Tür und Tor für eine Neuauflage von Berufsverbotstendenzen“. Politisch missliebige Lehrer ließen sich von vornherein vom Schuldienst fernhalten.

Da unter das weit gefasste Gesetz auch das Kreuz fallen würde, sieht der Gesetzentwurf für christliche Symbole eine Art Ausnahmeerlaubnis vor: „Die Bekundung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte entspricht dem Bildungsauftrag der Schule.“ Da die jüdische Kippa ebenfalls zur abendländischen Tradition zählt, soll auch sie durch die Ausnahmebestimmung weiter in der Schule erlaubt sein.

Der ehemaligen Verfassungsrichter Jürgen Kühling, der sich mittlerweile im Bundesvorstand der Humanistischen Union für Bürgerrechte einsetzt, findet vor allem an den Begriff „abendländisch“ anstößig. Kühling konstatiert im Gesetzestext einen „Kulturkampf“ gegen die deutschen Muslime, die sich ja zweifellos zu einer morgenländischen Religion bekennen. Der ehemalige Verfassungsrichter glaubt zudem, dass der niedersächsische Entwurf dem Kopftuch-Urteil des Bundesverfassungsgerichts widerspricht. Karlsruhe habe den Landesgesetzgebern nur die Alternative gelassen, alle religiösen Symbole in den Schulen zu verbieten, oder Kreuz und Kopftuch gleichermaßen zuzulassen. Die in Niedersachsen geplante ungleiche Behandlung von Christentum und Islam hält Kühling daher „für verfassungswidrig“.