Tatort Dorotheenstraße 143

Beim Anblick des Hamburger Planetariums, der Kulisse für sein Debüt „Tausend Augen“, gerät er immer noch ins Schwärmen: Der einstige Starkritiker Hans-Christoph Blumenberg, der auch an den Kammerspielen Regie führte, dreht seit 20 Jahren Filme

Von Albrecht Gaub

„Was darf ich Ihnen zu trinken anbieten?“ Hans-Christoph Blumenberg schaut in den Kühlschrank. Er ist leer. „Wir sind gerade erst aus Berlin gekommen, entschuldigen Sie. Wie wär‘s mit Caro-Kaffee?“ Einverstanden. Man sitzt also auf Designer-Möbeln in der seltsam nackten, eher ausgeräumten als aufgeräumten Altbauwohnung im Hamburger Stadtteil Winterhude und trinkt dazu Malzkaffee. Blumenberg zündet sich eine Pall Mall an.

Vor fast genau 20 Jahren, am 16. Januar 1984, fiel die erste Klappe zu Blumenbergs Debütfilm Tausend Augen. Blumenberg war bis dahin ein gefeierter Kinokritiker. Aber eines Tages bekam er es mit dem Gewissen zu tun. „Wenn Sie mal abends mit jemandem ein Bier getrunken haben und den total sympathisch fanden, und dann sehen Sie aber zwei Monate später seinen Film, den Sie relativ schrecklich finden, dann bringt Sie das in eine Situation, in der man sich eigentlich nicht befinden möchte.“ Für ihn Grund genug, die Festanstellung bei der Zeit zu kündigen und fortan Drehbücher statt Kritiken zu schreiben.

Spät berufen zum Filmemacher, noch später zum Ehemann: Blumenberg heiratete 1995, mit 48 Jahren. Seine Frau arbeitet als Dramaturgin beim Studio Hamburg. Kennen gelernt haben sich die Blumenbergs in Saarbrücken, bei Dreharbeiten zu einem Tatort mit Kommissar Max Palu (alias Jochen Senf). Blumenberg hat diese Figur 1987 selbst erfunden und seither immer wieder neu in Szene gesetzt, zuletzt in der Folge Veras Waffen. Warum „Palu“? „Wir wollten einen Nachnamen, der französisch klingt, der diese Grenznähe beglaubigt. Kann sein, dass wir nachts betrunken in irgendwelchen Telefonbüchern auf Namen getippt haben.“

Es ist nicht weit bis zum Stadtpark. Aber es geht ein bisschen bergauf. Der korpulente Kettenraucher atmet schwer. Die Kippen tritt er, ohne den Schritt zu verlangsamen, in den aufgeweichten Sandweg. Als Blumenberg das Planetarium erblickt, gerät er ins Schwärmen. Schon in Tausend Augen diente ihm die trutzige Sternenburg als Kulisse. Gudrun Landgrebe und Armin Mueller-Stahl ließ er dort in luftiger Höhe agieren. Immer wieder ist Blumenberg zum Drehen hierher zurückgekehrt.

An Blumenbergs Filmen scheiden sich bis heute die Geister. Nicht jedoch an seiner Inszenierung von Yasmina Rezas Kunst 1996 an den Hamburger Kammerspielen. „Innerhalb der Stadt wollte jeder das sehen. Wahrscheinlich war das mein größter Erfolg – hoffentlich nicht für immer. Aber außerhalb Hamburgs wurde das gar nicht wahrgenommen. Wenn Sie einen Film machen, sind Sie schon eher im Gespräch.“

Immerhin gab es den Bayerischen Filmpreis für das Deutschlandspiel (2000), ein „Doku-Drama“ (für das Fernsehen) über die Wiedervereinigung Deutschlands. Hier und im Nachfolgewerk Der Aufstand (2003) über den 17. Juni 1953 gibt sich Blumenberg als der Historiker zu erkennen, der er seiner Ausbildung nach ist. Als Doktorand an der Universität Köln erhielt Blumenberg 1970/71 ein USA-Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes. In damals noch ziemlich geheimen Archiven forschte er als erster Deutscher über amerikanische Anti-Nazi-Propagandafilme. Aber so lebendig das Kino unter den Kölner Studenten war, die Professoren taten sich mit dem Medium noch schwer. „Filmwissenschaft gab es zu meiner Zeit überhaupt nicht.“ Und so brach Blumenberg die Promotion schließlich ab.

Die Geschichte hat Blumenberg dennoch nie losgelassen. Filmgeschichte, deutsche Zeitgeschichte und die Verbindungen zwischen beiden haben es ihm besonders angetan: Sein urkomisches und doch bitteres Dokumentarspiel Beim nächsten Kuss knall ich ihn nieder (1996), eine Biographie des jüdischen Filmregisseurs Reinhold Schünzel, ist vielleicht das schönste Zeugnis dafür. Blumenberg gewann damit zum ersten und einzigen Mal den Deutschen Filmpreis. Bei der Verleihung ging allerdings etwas schief: „Ich habe den Preis nicht alleine bekommen, sondern zusammen mit dem Kameramann und der Cutterin. Hannelore Elsner und Leander Haußmann haben die Trophäen überreicht. Und nachdem ich mich wieder hingesetzt hatte, sagte meine Frau: ,Da steht ja der Name des Kameramanns drauf.‘ Man hatte die Preise vertauscht. Wir haben das dann in der Pause gerichtet.“

Beim nächsten Kuss knall ich ihn nieder ist ein Film über einen Kollegen. Aber auch dann, wenn Kino nicht erklärtermaßen zum Thema wird, ziehen sich Anspielungen auf andere Filme und Filmschaffende wie ein roter Faden durch Blumenbergs Schaffen. Namen sind selten Zufall. Blumenberg: „Der einzig bedeutende Filmschaffende aus Saarbrücken ist Max Ophüls, deswegen sagte ich, unser Tatort-Kommissar muss Max heißen.“

Auf dem Rückweg durch die Dorotheenstraße kommt Blumenberg alle 50 Meter ein Bekannter entgegen. Blumenberg tippt an seine blaue Schirmmütze, das Gegenüber lüpft den Hut. Man schüttelt Hände. „Sehen wir uns heute Abend?“ So viele Wandlungen Blumenberg beruflich und privat auch durchgemacht hat: Hier ist er zu Hause, schon seit 1976.

Gegenüber seiner Wohnung hält Blumenberg an, um sich zu verabschieden. „Ich muss noch in den Naturkostladen da drüben. Sie wissen ja, wir haben fast nichts da.“