Zerreißproben um ein Stück Stoff

Das geplante Kopftuchverbot an französischen Schulen ruft auch in einigen islamischen Ländern gemischte Reaktionen hervor. Die Fronten zwischen Befürwortern und Gegnern des Verbots verlaufen allerdings nicht ganz entlang der erwartbaren Linien

VON DANIEL BAX

Schon erstaunlich, wo man sich überall für die französische Bildungspolitik interessiert. Kundgebungen gegen das geplante Kopftuchverbot an französischen Schulen gab es in den vergangenen Wochen an so entlegenen Orten wie der jordanischen Hauptstadt Amman, in Beirut und im Gaza-Streifen. Über 30.000 jordanische Frauen sollen eine Petition an Jacques Chirac unterschrieben haben, sein Dekret zurück zu nehmen. Und die libanesische Hisbullah karrte jüngst 5.000 junge Frauen mit Bussen zu Demonstrationen nach Beirut, wo sie Transparente mit Slogans wie „Das Kopftuch ist eine religiöse Pflicht“ pflichtschuldig in die Kameras hielten.

Für fundamentalistische Grüppchen in der arabischen Welt bietet der französische Kopftuchstreit einen willkommenen Anlass, einmal mehr gegen den Westen und dessen angebliche Gottlosigkeit zu Felde zu ziehen, auch an diesem Wochenende wieder. Und auf diesem Umweg auch die eigenen Regierungen ins Visier zu nehmen, gegen die direkt zu protestieren weniger ratsam erscheint.

Bei den Demonstrationen in Kairo wurden zuletzt auch Slogans gegen Scheich Mohammed Sayyid Tantawi skandiert. Das geistige Oberhaupt der religiösen Al-Azhar-Universität, der über Ägypten hinaus als maßgebliche Autorität des sunnitischen Mainstreams gilt, hatte Anfang des Jahres – am Rande eines Staatsbesuchs des französischen Innenministers Sarkozy – erklärt, das Kopftuch stelle zwar durchaus eine religiöse Pflicht für muslimische Frauen dar. Ein nichtmuslimisches Land wie Frankreich aber dürfe die Gesetze erlassen, die es für richtig halte. Französische Muslime sollten sich an das Kopftuchverbot ihrer Regierung halten.

Damit hat sich Tantawi Ärger mit der fundamentalistischen Konkurrenz eingehandelt. Die Muslimbruderschaft, die im ägyptischen Parlament über 16 Sitze verfügt, forderte sogar seinen Rücktritt. Aber auch von konservativeren Kollegen hebt sich Tantawi mit seiner Haltung ab: So haben Religionsgelehrte aus Saudi-Arabien die französische Regierung aufgefordert, ihre Entscheidung noch einmal zu überdenken.

In seiner Auslegung hatte Tantawi wohl an die koranische Unterscheidung zwischen den islamischen Ländern als „Haus des Islam“ und der restlichen Welt gedacht. Muslime in der Diaspora kommen in dieser altertümlichen Konstruktion allerdings nur als „Gäste“ vor. Als Gäste verstehen sich die Muslime, die in Frankreich demonstrieren, aber gerade nicht. Sondern als französische Staatsbürger, die ihre Bürgerrechte einfordern.

Tantawi hat sich in der vergangenen Woche in einem Interview noch einmal erklärt. „Ich frage mich, weshalb sie keine islamischen Schulen gründen“, sagte er an die Adresse der französischen Muslime gerichtet. Und seinen Kritikern in der islamischen Welt empfahl er, sie sollten ihre Empörung lieber gegen jene muslimischen Staaten richten, in denen Frauen mit Kopftuch diskriminiert würden.

Tantawi dachte dabei an die Türkei, wo nach französischem Vorbild die strikte Trennung von Staat und Religion gilt. Dort wundert sich niemand über Chiracs Initiative, denn Kopftücher sind dort an staatlichen Schulen, Hochschulen und im gesamten öffentlichen Dienst, ja selbst im Parlament verboten. Aber auch in Tunesien können Kopftuchträgerinnen im Staatsdienst nicht Karriere machen, und in Ägypten oder dem Libanon schaffen sie es kaum mal als Nachrichtensprecherinnen ins TV-Programm.

Säkulare Stimmen äußerten sich bislang jedoch kaum zum Kopftuchverbot. Allein die Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi hatte schon im Dezember das geplante Verbot kritisiert. „Je gebildeter die Mädchen sind, je mehr sie die Schulen besuchen, umso emanzipierter werden sie sein“, sagte die iranische Rechtsanwältin. Ein Verbot hingegen käme allein den Fundamentalisten zugute. Wohl wahr.