Wissen nicht weiter

Die Krise der Musikindustrie und die Folgen: Einen Tag nach Universal-Chef Tim Renner räumt auch der Geschäftsführer der BMG Deutschland, Thomas Stein, seinen Posten

Scheitern auf der ganzen Linie. Anders kann man es kaum interpretieren, dass nur einen Tag nach dem Rücktritt des Universal-Chefs Tim Renner nun auch Thomas Stein, der Geschäftsführer der BMG Deutschland, seinen Posten aufgegeben hat. Damit haben innerhalb von zwei Tagen die zwei wichtigsten Männer der deutschen Plattenindustrie ihren Job an den Nagel gehängt. Da scheint eine Industrie nicht mehr weiter zu wissen.

Denn Renner und Stein markierten die beiden Extreme, zwischen denen in den vergangenen Jahren die deutsche Musikindustrie ihrem Geschäft nachging. Da war Renner, der selbst erklärte Visionär, der mit seiner gespenstischen Mischung aus deutschnationalem Kulturgeschwafel und ehrlichem Interesse an der Musik verschiedener Independent-Labels versuchte, so etwas wie eine genuin deutsche Popmusik aus der Taufe zu heben. Eine Musik, die man international als solche verkaufen kann und die lokal verwurzelt ist.

Und da war Stein, der für das genaue Gegenteil stand: am prominentesten zur Schau gestellt durch seine Jury-Mitgliedschaft bei „Deutschland sucht den Superstar“. One-Hit-Wonder ohne irgendeine Szene-Anbindung reichten ihm aus, nur die Verwertungsketten mussten verlängert werden. Was bei Bertelsmann ja auch prima funktionierte: Fernsehsender, Buchverlag und Plattenfirma sind ja alle unter einem Dach.

Nun haben sie beide aufgehört. Renner, weil die französische Konzernzentrale stärker auf internationale Künstler setzen will und sich die Entwicklung deutscher Acts sparen möchte. Über die Gründe für Steins Rücktritt gibt es nur Spekulationen. Er soll mit der geplanten Fusion der Bertelsmann-Musiksparte mit der von Sony zusammenhängen.

Allerdings nützt auch die Häme von Musikern und Indielabelmachern an den Tresen dieser Republik nicht viel. Denn wie es weitergehen wird, weiß tatsächlich niemand. Auf der einen Seite werden die Urheberrechte immer enger ausgelegt, auf der anderen Seite ist jedem, der einigermaßen bei Sinnen ist, klar, dass dem digitalen Kopieren von Musik so nicht beizukommen ist. Für jeden Kopierschutz gibt es einen Schlüssel, und auch die Strafverfolgung von Menschen, die gebrannte CDs weitergeben, wird an dieser Praxis nichts ändern.

Die Musikindustrie befindet sich in einer strukturellen Krise und das Geschäftsmodell, mit dem sie erfolgreich reagieren könnte, hat sie noch immer nicht. Streng genommen ist die Krise der Musikindustrie jedoch nur eine Krise der Plattenindustrie. Den Konzertveranstaltern etwa geht es prima. Doch ein Gedanke wie der, dass Tonträger mittelfristig nur als Werbemittel dienen könnten, um Hörer in Konzerte oder zu anderen Events zu locken, dürfte für die Plattenindustrie wenig verlockend sein. Hieße das doch, etwas, für das man bisher bezahlt wurde, auf einmal umsonst weggeben zu müssen.

Das würde jedoch bedeuten, dass sich die Industrie völlig neu erfinden müsste und dass die Akzente in den Wertschöpfungsketten ganz neu gesetzt werden müssten. Dass Stein sich im Bertelsmann-Imperium zukünftig auf die Entwicklung neuer Fernsehformate konzentrieren soll, weist allerdings in diese Richtung. TOBIAS RAPP