Sozialpartner der besonderen Art

Das Codewort der Mannesmänner hieß Friedland – so wie das Herzogtum des kaiserlichen Kriegsherrn Wallenstein

VON KLAUS MARTENS

Wenn am Mittwoch in Düsseldorf Richterin Brigitte Koppenhöfer den Landgerichtssaal 111 betritt, dann beginnt der größte Wirtschaftsprozess in der Geschichte der Bundesrepublik. Ihr gegenüber sitzen auf der Anklagebank Josef Ackermann, Chef der Deutschen Bank, Klaus Zwickel, Exvorsitzender der IG Metall, Joachim Funk, einst Vorsitzender des Aufsichtsrats, und Jürgen Ladberg, einst Vorsitzender des Betriebsrats der Mannesmann AG. Der Vorwurf: gemeinschaftliche Untreue in besonders schweren Fällen. Alle vier waren Mitglieder des Mannesmann-Aufsichtsrats.

Die Manager und Arbeitnehmervertreter pflegten eine besondere Form der Sozialpartnerschaft, von der Klaus Esser, Exvorstandsvorsitzender von Mannesmann, am meisten profitierte. Auch Esser sitzt auf der Anklagebank: wegen Beihilfe zur Untreue. Es geht um 111.514.794 Mark (57.016.609 Euro) Prämien und Pensionsabfindungen.

Als Klaus Esser am 3. Februar 2000 per Handschlag die Mannesmann AG an Vodafone-Chef Chris Gent abtrat, glaubte alle Welt, Esser habe einen Abwehrkampf gegen Vodafone verloren, eine Schlacht, die allein 400 Millionen Mark für Werbung und Berater gekostet hatte. Niemand ahnte, dass Esser mit dem Handschlag um 60 Millionen Mark reicher geworden war. Die Hälfte davon hatte er sich am 10. Dezember 1999 in seinem Arbeitsvertrag festschreiben lassen. Die anderen 30 Millionen waren ihm am Tag der Einigung mit Vodafone von Mannesmann-Großaktionär Li Ka Shing versprochen worden.

Der Chef von Hutchison Whampoa in Hongkong hatte allen Grund, „sein bestes Pferd“ (Esser) zu belohnen. Seit einem halben Jahr gehörten dem Chinesen knapp 10 Prozent aller Mannesmann-Aktien, deren Wert sich im selben Zeitraum verdoppelt hatte. Esser verschaffte ihm die Möglichkeit, das gesamte Aktienpaket auf Höchstkurs zu verkaufen. Hätte Esser die Übernahme durch Vodafone abgewehrt, wäre Li Ka Shing auf seinen Mannesmann-Aktien sitzen geblieben. Die gesetzliche Aktienbindungsklausel hätte ihm den Verkauf verboten. So aber machte Li Ka Shing das Geschäft seines Lebens. Er verkaufte mit einem Bargewinn von 10 Milliarden Mark und versprach Klaus Esser einen „appreciation award“, über 10 Millionen britische Pfund, also 30 Millionen Mark.

Eine Anerkennungsprämie von einem Großaktionär anzunehmen riecht aber gewaltig nach Bestechung. Der Vorstand einer Aktiengesellschaft, die von einer Übernahme betroffen ist, muss sich nämlich laut Überlassungsgesetz neutral verhalten. Weil aber Esser nicht auf das Geld verzichten wollte, bedankte er sich am 7. 2. 2000 bei dem Chinesen für den „very special appreciation bonus which you offered for myself“ und machte den Vorschlag, die 30 Millionen von Mannesmann bezahlen zu lassen. Weil ihm das Unternehmen bereits 30 Millionen Mark genehmigt hatte, war auch diese Lösung äußerst fragwürdig. Das schien auch Josef Ackermann bewusst gewesen zu sein, als er am Rande einer Aufsichtsratssitzung behauptete, das Geld käme von Vodafone – ein juristisches Eigentor. Denn wäre es so gewesen, hätte das gegen Paragraf 33 Übernahmegesetz verstoßen. Der Vorstand eines Übernahmekandidaten (Zielunternehmen) darf kein Geld von der angreifenden AG annehmen.

Jetzt waren die Aufsichtsräte Josef Ackermann, Joachim Funk, Klaus Zwickel und Jürgen Ladberg gefragt. Unter dem Vorsitz von Funk bildeten sie ein Gremium, das sich mit Gehältern, Pensionen und Sonderzahlungen an Vorstandsmitglieder beschäftigte. Dieser „Ausschuss für Vorstandsangelegenheiten“ beschloss am 28. Februar 2000, dass „Herrn Dr. Esser 10 Millionen GBP zugewendet werden“ sollen. Weil der Gewerkschafter Klaus Zwickel hoffte, dass seine Unterschrift nie an die Öffentlichkeit kommen würde, behauptete er später, von dem Zahlungsbeschluss an Klaus Esser erst aus der Zeitung erfahren zu haben.

Dabei war am 21. Februar 2000 ein Bote der Mannesmann AG eigens nach Frankfurt zur Zentrale der IG Metall gefahren, um seine Unterschrift zu holen. Der Beschluss machte klar, dass die Prämie von Großaktionär Li Ka Shing an Esser aus dem Mannesmann-Vermögen bezahlt würde. Zwickels Namenszug findet sich auch unter einem Beschlussprotokoll, in dem die „übliche Gepflogenheit zugesagt“ wurde, dass Klaus Esser „nach dem Ausscheiden aus dem Vorstand auf Lebenszeit Anspruch auf einen Wagen mit Fahrer und ein Büro mit Sekretärin hat.“ Esser verzichtete später darauf und ließ sich stattdessen weitere 2 Millionen auszahlen, diesmal in Euro.

Damit aber war längst nicht Schluss mit dem großen Geldsegen aus dem Mannesmann-Vermögen. Die Sonderzahlungen an den Vorstandsvorsitzenden hatten auch dem Aufsichtsratsvorsitzenden Funk Appetit gemacht. Er habe auch eine Prämie verdient, sagte er seinen Aufsichtsratskollegen. Schließlich sei er ebenfalls einmal Vorstandsvorsitzender gewesen. Jetzt wolle er dafür 9 Millionen Mark als Erfolgsprämie.

Da aber störten plötzlich zwei Wirtschaftsprüfer den Geldfluss. Unternehmen der Größe von Mannesmann müssen ihre Geschäfte von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften genehmigen lassen. Mannesmann hatte dazu die KPMG in Berlin beauftragt. Doch die verweigerte die Zahlungsanweisung für Funk. Zu Recht, denn Aufsichtsräten ist es verboten, Sonderzahlungen anzunehmen. Joachim Funk fand für sich schnell eine Lösung: Er trat als Vorsitzender des Aufsichtsrats zurück, und ein paar Tage später überwies ihm Mannesmann eine erste Nettozahlung über 2.539.549 DM.

Auch die 60 Millionen für Esser kamen den Wirtschaftsprüfern abenteuerlich hoch vor. Aber das hinderte ihn nicht daran, am 28. März 2000 eine erste Überweisung über 13.313.574,66 DM zu veranlassen. Staatsbürger Esser beauftragte seinen Vorstandsangestellten Dietmar Droste zu überprüfen, ob er die insgesamt 60 Millionen überhaupt versteuern muss. Schließlich seien dies Abfindungen für seine zukünftige Arbeitslosigkeit. Auch Droste steht wegen Beihilfe zur Untreue vor dem Düsseldorfer Landgericht. Katholik Esser fragte auch nach, ob er sich für das Jahr 2000 von der Kirchensteuer befreien lassen könne. Die Finanzdirektion des Erzbistums Köln erließ ihm schließlich die Hälfte. Auf das Büro mit Sekretärin, das Auto und den Fahrer verzichtete Esser und ließ sich als Ausgleich dafür weitere 2 Millionen auszahlen, diesmal in Euro. Im Laufe der Monate April und Mai 2000 wurden weitere 63.509.794 DM an 37 ehemalige Vorstandsmitglieder ausgezahlt.

Die Mannesmann-Vorstände hatten schon früh Vorsorge getroffen, falls es zu einem „Change of Control“, also einer Übernahme durch ein anderes Unternehmen, kommen würde. Zu einer Zeit, als von Vodafone noch keine Rede war, sprachen die Mannesmänner der Chefetage von „Parachutes“, und zwar von goldenen Fallschirmen. Sie fassten einen Plan, für den sie ein aussagekräftiges Codewort erfanden: Friedland. So hieß das Land, das dem Kriegsherrn Wallenstein im Dreißigjährigen Krieg durch taktische Heirat zugefallen war. Jetzt war Friedland der Geheimcode für die Zahlungen an Vorstände und ihre Angehörigen, wenn Mannesmann mit einem anderen Unternehmen verheiratet würde. Als Vodafone-Chef Chris Gent „the change of control“ ankündigte, kam Projekt Friedland zum Zuge.

Unter den Begünstigten ist auch der längst pensionierte ehemalige Arbeitsdirektor Josef Murawski. Der IG Metaller erhielt im April 2000 eine Pensionsabfindung über 3.948.276,00 DM. Doch der 72-jährige Rentner forderte einen Nachschlag. Seine Frau sei 20 Jahre jünger als er und müsse von dem Geld entsprechend länger leben. Joachim Funk, zu diesem Zeitpunkt als Aufsichtsrat längst zurückgetreten, stimmte sich mit Josef Ackermann ab und überwies dem um seine Frau besorgten Gewerkschafter weitere 770.105,00 DM. Bei den polizeilichen Vernehmungen versicherte Murawski übrigens, der IG Metall oder einer gewerkschaftlichen Stiftung davon nichts abgegeben zu haben.

Doch darum wird es vor dem Landgericht in Düsseldorf wohl nicht gehen. Und auch nicht darum, dass die publikumswirksame Abwehrschlacht, für die Esser allein eine knappe halbe Milliarde Mark ausgegeben hatte, möglicherweise gar keine war, sondern ein doppeltes Spiel, mit dem einer 10 Milliarden Mark gewann.

Klaus Martens ist Redakteur und Autor der WDR-Story: „Doppeltes Spiel – Der Milliardendeal der Mannesmänner“, die das WDR-Fernsehen heute Abend um 22.30 Uhr zeigt