Ein flotter Farbenwechsel

Friedrich Merz’ Großvater traf auf der Maifeier 1933 genau den Ton, der auch von Nazis angeschlagen wurde. Der Festredner gab sich als eilfertiger Opportunist und offener Antidemokrat. Eine Analyse

BERLIN taz ■ Am 1. Mai 1933 zeigt sich Josef Paul Sauvigny, Bürgermeister von Brilon, anlässlich seiner Festansprache zum „nationalen Feiertag der deutschen Arbeit“ als offener Antidemokrat, Anhänger des Führerstaats und eilfertiger Opportunist.

Seine Rede zeugt von der inneren Zerrüttung, in der sich die Partei Sauvignys, das katholische Zentrum, drei Monate nach der Nazi-Machtergreifung befand. Sauvigny greift die in der Zentrumspartei grassierenden Vorstellungen vom Führerstaat auf und spitzt sie zu. Wo bei ihm von der Weimarer Republik die Rede ist, regiert der Abscheu vor „dem alten Unrat“, vor „Parteigezänk“, vor dem „ewigen Führerwechsel“. Jetzt, nachdem dieser Unrat durch den „nationalsozialistischen Frühlingssturm“ weggefegt ist, gilt es, zum großen Befreiungswerk unter der Führung Adolf Hitlers auszuholen, der den „tatgewordenen Aufbauwillen“ verkörpert“.

Der Lokalpolitiker Sauvigny surft mit diesem Bekenntnis auf der Welle, die seit der Kanzlerschaft Brünings (1930–32) und dem Vorsitz des Prälaten Kaas die einst demokratisch orientierte Zentrumspartei überschwemmt hatte. Schon damals rechnete man mit dem „System“ ab und suchte um Brüning einen rivalisierenden Führerkult zu begründen. Schon im März 1933 stimmte die Reichstagsfraktion unisono für das Ermächtigungsgesetz, das Hitlers Terror legalisierte. Wie die Deutsch-Nationalen war die Zentrumsführung der Meinung, Hitler ließe sich in eine konservativ eingefärbte Präsidialdiktatur einbinden. Eine Selbsttäuschung, die am 1. Mai 1933 auch für einen Konservativen leicht zu durchschauen gewesen wäre. Nicht für Sauvigny. Er hegt die Hoffnung, der „Frühlingssturm“ werde sich legen, nachdem er „die Luft gereinigt hat“. Danach gelte es, die Ärmel hochzukrempeln und „zähe Gründlichkeit“ und „altpreußische Zucht“ in Anschlag zu bringen, mithin die Tugenden, die angeblich den Hohenzollernstaat geprägt hatten. Hindenburg plus Hitler – der „Geist von Potsdam“ wird uns erlösen.

Was hat Sauvigny zum „Tag der deutschen Arbeit“ selbst zu sagen? Mit Ausblicken auf die künftige „Organisation der Arbeit“, sprich das Schicksal der Gewerkschaften, hält er sich zurück. Schließlich waren die christlichen Gewerkschaften noch offizielle Mitveranstalter des 1. Mai, und die Zerschlagung der gesamten Gewerkschaftsbewegung begann erst einen Tag später. Sauvigny begnügt sich mit Lyrismen. Er schwärmt beim Anblick des „ganzen schaffenden Volkes [also der zwangsvereinten Kapitalisten und Arbeiter, C. S.], das sich ausruhend und in Ehrfurcht vor der deutschen Leistung die Hände reicht“. Damit trifft Sauvigny genau den Ton der „Volksgemeinschaft“, der von den Nazis angeschlagen wurde.

Wieso heißt der Zentrumsmann Sauvigny die Kundgebungsteilnehmer „ im Auftrag der NSDAP willkommen“? Offenbar hat er es sehr eilig, die Farbe zu wechseln, denn das Zentrum löste sich erst im Juni 1933 auf. Er muss den Nazis als Altbürgermeister sehr vertrauenswürdig gewesen sein, denn das Gros der Zentrumsbürgermeister in Rheinland und Westfalen wurde zwischen Februar und Mai 1933 aus dem Amt gejagt. So erging es dem Parteifreund Sauvignys, einem gewissen Konrad Adenauer, Oberbürgermeister von Köln. Der taucht zum Zeitpunkt der Maifeier gerade zu den frommen Brüdern im Kloster Maria Laach ab, nachdem er Hitler 1932 keinen Rathausempfang gewährt und die Beflaggung der Deutzer Brücke zu dessen Ehren untersagt hatte. Sauvigny hingegen amtiert bis 1937, als er mit offiziellem Lob in den Ruhestand verabschiedet wurde. Damit zeichnet er auch noch verantwortlich für die Durchführung der Nürnberger Gesetze, die die deutschen Juden entrechteten und vogelfrei machten.

In summa: Merz hätte besser daran getan, über diesen Vorfahren zu schweigen. CHRISTIAN SEMLER