Kein Skandal, nur Heimatkunst

Würzburg feiert sein 1.300-jähriges Jubiläum mit Casimir von Pászthorys Oper „Tilman Riemenschneider“

Würzburg blickt stolz auf die Stadtgeschichte und feiert seinen 1.300. Geburtstag. Auch das Mainfrankentheater wollte dazu sein Scherflein beitragen. Also besann es sich auf eine Oper mit Lokalkolorit: Casimir von Pászthorys „Tilman Riemenschneider“. Handelt sie doch von dem weltbekannten Würzburger Bildhauer des Spätmittelalters – allerdings stammt die Oper aus den frühen Vierzigern des vergangenen Jahrhunderts, uraufgeführt zunächst konzertant in Salzburg 1952, dann szenisch in Basel 1957.

Pászthorys moderater Ruhm hielt nicht lange, er sank zur Fußnote der Musikgeschichte herab. Der aus dem Budapester Künstlermilieu stammende Cellist und Komponist war als junger Mann Rainer Maria Rilke mit einem Melodram zu Diensten gewesen. Er zog sich aber dessen Unwillen zu, als er eine Affäre mit dessen „Benvenuta“ anfing, der Pianistin Magda von Hattingberg. „Tilman Riemenschneider“ stammt aus einer späteren Schicht von Pászthorys Leben. Die Lehrjahre in Paris und Brüssel hatte er da ebenso hinter sich wie die Lehrtätigkeit in Wien – von 1934 an war er freischaffend tätig. Magda war durch Dora abgelöst und zur Gattin promoviert worden.

Sie brachte das Leben, Lieben und Streben des Schnitzers und Bildhauers Riemenschneider in acht holzschnittartige Szenen. Sie dichtete das Mündel Maria hinzu, das sich dem Meister als Modell anbietet, als dieser den Auftrag erhält, das Portal der Würzburger Marienkapelle mit Adam und Eva zu rahmen. Die steinerne Urmutter ähnelt der hübschen Jungfer jedoch allzu sehr, weswegen sich Riemenschneider mit dem Bischof in die Haare gerät.

Vor allem geht es in der Oper aber um Fragen der künstlerischen Selbstbestimmung, die Emanzipation von den Vorgaben der Stadträte und Kleriker, um Menschenbild und Humanität. Pászthory stattete sie mit einer Melange aus Pfitzner-Nachfolge und Wagner-Zitaten, Anlehnungen an Richard Strauss und Franz Schreker aus.

Solches musikalisches Mittelgut begleitet die Mariengeschichte halbwegs plausibel, aber zum Entstehungszeitpunkt bereits mit allzu anachronistischen musikalischen Mitteln. Mit dem Heraufbrodeln des Bauernaufstands und dem wachsenden Engagement des Künstlers für die Nöte des Volkes erweisen sie sich als allzu einfach: das Florian-Geyer-Lied und andere kernige Protestantengesänge bestreiten die Szene der dramatischen Kulmination, als wäre noch Singspielzeit des Vormärz.

Die kompositorische Unbeholfenheit wirkt fast schon wieder anrührend. Dennoch animiert der junge Kapellmeister Evan Christ nun eine musikalisch ansprechende Produktion mit Oscar Quezeda, Ada Gunnars und Albrecht Kludszuweit in den Hauptrollen.

Das Würzburger Theater, periodisch von der Abwicklung bedroht, sucht feste Bodenhaftung beim Publikum, das auf Avancierteres in der Regel nicht allzu freudig anspricht. Da mag die Besinnlichkeit der Riemenschneider-Rückschau sich angeboten haben. Freilich dürfte sie, trotz des neuerlichen Achtungserfolgs, bald wieder in der tiefen Truhe verschwinden: aus ästhetischen Gründen.

Der politische Argwohn, wie ihn im Vorfeld der Premiere die Süddeutsche Zeitung nährte, wurde durch keine Recherche bestätigt. Die Nazis konnten Pászthory nicht sonderlich viel abgewinnen. Zwar wurde die „Riemenschneider“-Oper 1942 komponiert, aufgeführt wurde sie aber eben erst 1959. Die versuchte Skandalisierung basiert auf der Parallelsetzung der Würzburger Besinnung auf die Stadtgeschichte mit dem Engagement für Hans Rehbergs „Wölfe“ im benachbarten Erlangen. Wenn zwei etwas Ähnliches unternehmen, dann ist dies nicht unbedingt das Gleiche. Die humanitätsorgelnde „Riemenschneider“-Oper gibt kein Skandälchen her. Nur Heimatkunst.

Wenn man sich zum zweitausendjährigen Stadtjubiläum von Würzburg vielleicht noch einmal an das allzu zeitbedingte Werk erinnert, dann sind die politischen Qualen und Querelen des 20. Jahrhunderts ebenso fern gerückt wie die Leistungsanforderungen der Moderne, denen die Pászthorys so hörbar nicht genügten. Warum aber sollte es, da so viel Kultur musealisiert wird, dereinst in der deutschen Provinz nicht auch ein Heimatmuseum des Musiktheaters geben? FRIEDER REININGHAUS