Plattstiche der Betulichkeit

Wohin führt der Weg für das Münchner Haus der Kunst? Mit „präziser“ Langsamkeit und „starken“ Künstlerinnen wollte der neue Chef Chris Dercon einen Reformationskurs steuern. Mit Abigail O’Briens „Sieben Sakramenten“ ist er allerdings im Bereich von naiven und überfrachteten Sinnbildern gelandet

von IRA MAZZONI

Mit einer „Trilogie der starken Frauen“ wollte der neue Chef Chris Dercon den Reformkurs im Münchner Haus der Kunst einleiten. Nun flacht das Programm nach dem sensationellen Auftakt Ydessa Hendeles’ ab zu einer Darbietung schwacher Sinnbilder. Bemühte Ikonografie, gequälte (feministische) Identitätssuche und biedere Betulichkeit kennzeichnen den monumentalen Zyklus von Abigail O’Brien „Die Sieben Sakramente“, der nun im Haus der Kunst zu sehen ist.

Mag sein, dass die kirchliche Sozialisation für irische Frauen (und nicht nur sie) ein Problem bei der Selbstfindung ist. Aber dass die vermeintlich aufgeklärte, zeitgenössische Kunst genau denselben Kitsch produziert wie der kirchliche Devotionalienhandel, ist bitter. Wer sich der tradierten Sprache der Historienbilder bedient, ohne sie zu ironisieren, erreicht das kalte, großflächige Pathos des Fälschers Hans van Meegeren, der sein Emmausmahl 1937 Johannes Vermeer unterschob.

Die „Sieben Sakramente“ bezeichnen Wendepunkte eines in die kirchliche Gemeinschaft eingebundenen Christenlebens: Taufe, Beichte, Firmung, Eucharistie, Priesterweihe, Ehe, Krankensalbung bzw. letzte Ölung. O’Brien visualisiert die Stationen vor allem mit großformatigen Fotografien ihrer Freundinnen: bei Hochzeitsvorbereitungen, beim Kochen (Eucharistie), beim Baden eines Babys (Taufe), beim Sticken (Firmung). Das Vordergründige, scharf Konturierte und hell Ausgeleuchtete dieser erstarrten Tableaux vivants erinnert tatsächlich an van Meegeren. Sie wirken von Grund auf falsch und gleichzeitig naiv. Zu den Bildfriesen gesellen sich aparte Objekte: Vor der Fotogalerie „niedlicher“ Taufutensilien und Geschenke liegt ein weißes Taufkleidchen, dessen Saum die Künstlerin mit den Worten „mea culpa“ fein bestickt hat. Ein versilbertes, in dreißig Stücke gebrochenes Brot erinnert im Ambiente der Küchenstücke nicht nur an den Verrat des Judas für dreißig Silberlinge, sondern auch an die Geschenkorgien anlässlich der Kommunion. Höhepunkt der metaphorischen Ausschmückung bilden die zwölf kreisförmig angeordneten versilberten Bonsai-Abgüsse, die kombiniert mit Fotografien von den gestutzten Hecken des Barockgartens in Clemenswerth das Sakrament der Priesterweihe darstellen. Oh! Heiliger Lukas (Schutzpartron der Maler), bitt für uns! Das ist zu viel Hohlsaum- und Plattstich-Tiefsinn.

Am besten ist Abgail O’Brien, wenn sie sich dem fotografischen Stillleben widmet. Die mit Abstand konzentrierteste Inszenierung nennt sich „From the Ophelia Room“ und wäre – ohne den Konnex zur Krankensalbung – ein wahrhaft poetisches Stück: Aufnahmen aus einem Postamt, Stimmungsbilder vom „Dead-Letter-Room“, sachliche Notate von der „Bereitstellung“ und der Ablage „zu erledigen“. Gezielt schmuggelt die Künstlerin hier eine Postkarte von einer Margerite und dort eine von einem holländischen Genrebild Typ „Briefschreiberin“ ein. Das ganze kulminiert dann in der neongrünen Frontalaufnahme einer Leichenkammer: „Please Check I. D. of Body“ steht auf der Tür, an die auch die Margeriten-Postkarte, das Foto von den gebündelten, unzustellbaren (Liebes-)Briefen und eine Aufnahme vom Fundort am Bach geklippt sind.

Warum zu einem solch raumfüllenden, narrativen Bildfries dann auch noch Vitrinen mit Petit-Point-Stickbildern von Pusteblumen und entblätterten Gänseblümchen (er liebt mich, er liebt mich nicht) gestellt werden müssen, ist unbegreiflich. Die Überfrachtung mit überdeutlichen Zeichen erzeugt Pleonasmen betulicher Bedeutsamkeit, die an Banalität kaum zu überbieten sind. Wie frisch wirken hingegen die nicht minder emblematischen Genrebilder der niederländischen Barockmaler, die in dieser Ausstellung nur eine Statistenrolle zugewiesen bekommen haben, um die Bildtradition zu beleuchten, auf die sich O’Brien bezieht.

Hoffentlich ist die „Trilogie der starken Frauen“ nicht der Auftakt für ein Programm wohlmeinender Sinnbilder. Statt der gewünschten „präzisen“ Langsamkeit würde sich im Haus der Kunst gequälte Langweile etablieren. Es gäbe keine „Dichte des Sehens“, wie von Dercon versprochen, sondern leere Blicke. Schon jetzt bleibt das Publikum aus.

Abigail O’Brien läuft bis zum 12. 4.