Fragwürdig, aber beeindruckend

Für „Aus Liebe zum Volk“ (Berlinale Spezial) lassen Eyal Sivan und Audrey Maurion die Grenze zwischen Fiktion und Dokumentation verschwimmen. Der Film ist eine Montage aus Überwachungsbildern der Stasi und zeigt eine wild gewordene Kontrollbürokratie. Er wirkt allerdings etwas unseriös

Als 1999 Eyal Sivans und Audrey Maurions Dokumentarfilm „Der Spezialist“ auf der Berlinale aufgeführt wurde, erhoben sich kritische Stimmen. „Der Spezialist“ unternehme den Versuch, so der Vorwurf, mit dramatisch montierten Archivaufnahmen des Eichmann-Prozesses von 1961 die Persönlichkeit eines archetypischen Vertreters des NS-Regimes zu hinterfragen. Wo endet die Dokumentation, wo beginnt die Fiktion? Und wem könnte diese Fiktion dienen?

In ihrem neuen Film „Aus Liebe zum Volk“, der als Sondervorführung auf der diesjährigen Berlinale läuft, wird diese Diskrepanz noch deutlicher. Sivan und Maurion haben aus einer riesigen Menge von Überwachungsbildern aus den lange verschlossenen Archiven der Stasi eine persönliche Bestandsaufnahme der ehemaligen DDR kurz nach dem Zusammenbruch erstellt.

In „Aus Liebe zum Volk“ sprechen die Bilder jedoch nicht für sich selbst; die persönlichen Aufzeichnungen eines ehemaligen Stasi-Majors (gelesen von Axel Prahl) laden den Bildtext, zudem ergänzt durch nachträglich gefilmte Szenen, emotional auf. Die authentischen Dokumente einer totalen Überwachung und der authentische Augenzeugenkommentar sind von Sivan und Maurion instrumentalisiert, in Korrespondenz erzeugen Bild und Ton eine merkwürdig unseriöse Stimmung, die von (westlicher) Überheblichkeit und Sarkasmus gezeichnet ist. 14 Jahre nach dem Fall der Mauer hätte man sich auch einen schwereren Gegner suchen können.

Trotzdem ist „Aus Liebe zum Volk“ eine unglaubliche dichte Materialsammlung. Die Bemerkungen des anonymen Stasi-Majors zeichnen das erschreckende Bild einer Gesellschaft, die vollkommen in ihrer Überwachungsstruktur aufgegangen ist. Aufzeichnungen von Verhören – immer in Privatwohnungen –, obszöne Einblicke in die Intimsphären der Bürger (ein Mann schleicht in Unterhose über ein Hausdach, eine Stasi-Beamtin vögelt in ihrem Büro einen Kollegen, während ihr Mann zwei Räume weiter sitzt): Die Bilder verstören, auch weil Informanten oft nicht besser behandelt wurden als Verdächtige. Das System ist von Misstrauen zerfressen.

Möglich, dass die Denunziation der Individuen zu einem tieferen Verständnis eines totalitären Regimes führen kann. Sivan und Maurion weisen in ihrem Film jedoch selbst nach, wie dehnbar der Begriff eines totalitären Systems ist, wenn sie am Anfang George W. Bush zitieren, und sich seine Worte kaum noch von denen des Stasi-Mitarbeiters unterscheiden. In „Aus Liebe zum Volk“ entlarvt sich der Apparat der Stasi-Kontrollbürokratie durch die eigenen Bilder in seiner ganzen Absurdität. Viel wichtiger ist aber, dass Sivan und Maurion mit ihrem Film eine beeindruckende Bildergenealogie von Kontrollszenarien aufgespürt haben. ANDREAS BUSCHE

Heute, 17.30 Uhr, CineStar 3; Sonntag, 17.30, CineStar 7