„Jetzt wird es richtig sinnlos“

Erfolgreich umbuchstabiert: Jan Bosse inszeniert am Schauspielhaus Hamburg Samuel Becketts Klassiker „Warten auf Godot“

VON CAROLINE MANSFELD

Es gibt keinen Baum mehr. Nur ein Mikrofonständer mit armselig baumelndem Blatt. Erst recht keinen Gott. In einer Zeit, in der mehr oder weniger große Showstars zu Götzen aufsteigen, erübrigt sich jede weitere Sinnsuche. Samuel Becketts Parabel „Warten auf Godot“ lebt von der Abwesenheit, der Inhaltsleere.

Die Verzweiflung an der Existenz ist Wladimir und Estragon anzusehen: Die beiden in die Jahre gekommenen Entertainer sitzen wie Walter Matthau und Jack Lemmon vor dem müde glitzernden Vorhang ihres eigenen Lebens, der sich für sie längst geschlossen hat. Fünfzig Jahre sind sie nun schon so zusammen. Und selten hat es sich so gelohnt ihnen beim „Warten auf Godot“ zuzuschauen.

Godot, der sich, wie immer, nicht blicken lässt. Jan Bosse hat seinen ersten modernen Klassiker inszeniert. Und anlässlich der Premiere im Schauspielhaus den gelungenen Versuch unternommen, das „Warten“ des Männerduos endlich seiner in endlosen Aufführungen angesammelten Volkstümlichkeit zu entblättern. Die rührselige Pennerfabel von 1953 zu einer ernsthaften Geschichte über unsere Zeit umzubuchstabieren. Die Rechnung ging auf.

Das sinnentleerte Spiel geschieht vor einem imposanten Vorhang, den Bosses Bühnenbildner Stéphane Laimé aufgehängt hat. Der schlaksige Wladimir (Joachim Meyerhoff) gibt den Ton an, auch wenn seine Gitarre kaum noch einen Mucks von sich gibt. Sein Freund Estragon, grandios bekümmert gespielt von Tilo Nest, verzagt an seinem schmerzenden Fuß. Sie hocken im Niemandsland, irgendwo zwischen Milieus, Menschen und Möglichkeiten.

Zwei traurige Clowns, die keiner mehr braucht. Sie machen trotzdem weiter. The show must go on. Spielen auf ihren vergammelten Klampfen, singen und vertreiben sich die Zeit mit neckischen Wortspielchen. Wladimir als alternder Countrysänger mit Spitzbart, Estragon im Glitzeroutfit mit strassbesetzter Brille und Wollmütze ein zweiter Elton John. Einen sympathischen Hauch rheinischen Karnevals hat Kostümbildnerin Kathrin Platz dem ungleichen Paar verpasst. So lässt sich das Warten leichter ertragen.

Ab und zu öffnet sich der Vorhang, dahinter gähnt ein schwarzes Loch. Eine Anspielung an David Lynchs verrätseltes Kino des Unbewussten: Der schwarze Raum, der ihr Leben ist. Und den sie partout nicht durchschauen. Sie warten und warten und werden ab und zu von zwei Miniaturausgaben ihrer selbst informiert, dass Herr Godot leider wohl doch erst morgen kommt.

Dafür kommen Pozzo und Lucky. Jörg Ratjen als Dandy im Glitzerpulli mit nach hinten geschleimtem Haar und Goldzähnen. Ein ekeliger Machtmensch. Im Schlepptau Lukas Satz als denkender Lucky. Eine kümmerliche Figur mit traurigen Augen, Häschenohren und Zebraschuhen. Lucky kippt bei seinem großen und einzigen Unsinnsmonolog fast vom Stuhl. Die Zuschauer auch.

Die Inszenierung läuft sich zunächst etwas mühsam warm, die Dialoge holpern dahin, die Pointen fließen etwas zäh, doch hier gelangt die Inszenierung an ihren ersten Höhepunkt. Danach läuft alles glatt. „Didi“ und „Gogo“, wie sie sich zärtlich nennen, drehen auf. Wladimir gerät mit falschen Zähnen in tiefere Tonlagen als Leonard Cohen, Estragon verliert vor Schreck seine Hose.

Eine Einlage jagt die andere. „Jetzt wird es allmählich richtig sinnlos“, erkennt Wladimir. Das Warten zerrt an den Nerven. Und doch verharren diese beiden hier stellvertretend für eine ganze Menschheit tapfer in ihrer Situation, sich gegenseitig zurückzulassen gelingt ihnen ohnehin nicht. Jan Bosse trifft mit seiner menschlich schlüssigen Inszenierung den richtigen Ton: Die Wirklichkeit seiner traurigen Unterhaltungskünstler ist absolut nachvollziehbar.

weitere Vorstellungen 19. und 22.2. sowie 2., 21. und 28.3., jeweils 20 Uhr, Deutsches Schauspielhaus in Hamburg