Einige Hintergründe zu Rolf Hochhuths neuem Stück
: Wenn McKinsey zweimal klingelt

So etwas gibt es nur in Deutschland und unter den Rot-Grünen, schimpfte das Flaggschiff des Springerkonzerns Die Welt, dass man ausgerechnet jene wenigen, „die wirklich die Werte schaffen“, verfolgen und vernichten will. Gemeint war damit der Mannesmann-Prozess, in dem der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, Josef Ackermann, wegen Veruntreuung von 57 Millionen Euro angeklagt wurde. Zur selben Zeit drohte sein Konzern, die Deutsche Bank, selbst mit juristischen Schritten – und zwar gegen das neue Stück von Rolf Hochhuth „McKinsey kommt“.

Diese weltweit agierende US-Unternehmensberatungsfirma war ebenso wie die Deutsche-Bank-Tochter Roland Berger maßgeblich an der Deindustrialisierung der DDR beteiligt – und verdiente daran Zigmillionen. Sogar die rot-grüne Regierung gab seit Amtsantritt noch 157 Millionen Euro für solche und ähnliche Beratungsleistungen aus.

Dabei hatte sich bereits der erste Treuhandchef Detlef Rohwedder über das wenig segensreiche Wirken dieser Westmanager beklagt: „Die benehmen sich schlimmer als Kolonialoffiziere, sobald sie im Osten sind!“ Rolf Hochhuth hatte nach vielen Interviews mit davon Betroffenen, die ihm unter anderen Walter Momper ab 1992 regelmäßig in seiner SPD-Betriebsräteversammlung vermittelte, das Stück „Wessis in Weimar“ geschrieben, das im Osten immer wieder gerne aufgeführt wurde und wird.

Jetzt – mit „McKinsey kommt“, das gerade im Theater der Stadt Brandenburg Premiere hatte – ist sein die westdeutsche Managerklasse attackierendes Stück im Ton noch schärfer geworden, bis dahin, dass er den Chef der Deutschen Bank Ackermann in Reimen warnt: Wenn er weiterhin derart selbstherrlich agiere, könne er Opfer eines Terrorangriffs werden, so wie vor ihm bereits Herrhausen und Rohwedder. Schon zur Premiere seines Stücks „Wessis in Weimar“ hatte der „meistgespielte Dramatiker Deutschlands“ (FR) gemeint: „Wer so etwas wie Rohwedder tut, soll sich nicht wundern, wenn er erschossen wird!“

Hochhuth ignorierte dabei allerdings, dass der Treuhandchef immerhin sehr eigenmächtig vom „Masterplan“ der Wiedervereinigung abgewichen war, den der Ministerialdirektor Friedrich Ernst für das Gesamtdeutsche Ministerium schon 1961 erstellt hatte – und der im Gegensatz zu Rohwedders Ad-hoc-Plänen keine ausländischen Investoren im home-country Ostelbien vorsah. Friedrich Ernst war davor Mitglied im Schatten-Wirtschaftskabinett von Ludwig Erhard gewesen. Und davor hatte er das Szenario für die Ausplünderung des gesamten Ostens bis zum Ural entworfen, das dann in Görings berühmter Grüner Mappe zusammengefasst wurde: die Leitlinien zur wirtschaftlichen Umsetzung des „Barbarossa-Plans“ der Hitlergeneräle. Deren Plan zum Überfall der Sowjetunion hieß davor im Übrigen „Aufbau Ost“, wie Friedrich Kittler kürzlich in einem Militärarchiv herausfand. Genauso nannte man dann auch den westdeutschen Plan zur Integration Ostdeutschlands nach der Wende.

Für seine dramatische Warnung an Ackermann wurde Rolf Hochhuth in der Presse viel beschimpft. Der Berliner tip gab, nachdem auch er die „unbeholfenen Reime“ des westdeutschen Dramatikers gebührend kritisiert hatte, jedoch zu bedenken: „Rolf Hochhuth ist in den Schlagzeilen, weil er damit einen empfindlichen Punkt getroffen hat: Der gute alte Klassenkampf ist wieder da!“ Bereits 1992 hatte der DDR-Dramatiker Heiner Müller gemeint: Die Wiedervereinigung habe auch ihr Gutes gehabt – „Erst seitdem ist wieder Klassenkampf in Deutschland möglich!“

Jahrzehnte vor dem Mauerfall schrieb der kiffende Kabarettist Wolfgang Neuss in der taz: „Der Mauerbau hatte auch sein Gutes – die schlimmsten Leute haben damals die Stadt verlassen.“ Diese Leute standen hier jedoch nach 1989 alle sofort wieder auf der Matte, um sich die besten Filetstücke im Osten zu sichern. Ganze Viertel, wie der Prenzlauer Berg, kippten unter ihrem raffgierigen Projektwillen um. Die Politik und mit ihr Justiz und Polizei sehen die sozialen Brennpunkte jedoch seitdem ausschließlich in den vom „Aufschwung Ost“ bisher verschont gebliebenen Westberliner Bezirken (genannt werden Neukölln und Schöneberg) – wobei dort die Gefahr, ihrer pogromschürenden Meinung nach, vor allem von „Arabern“ ausgehen soll. Dabei ist das genaue Gegenteil der Fall: Die „schlimmsten Leute“ kommen aus Westdeutschland (wieder).

Auf einer Kreuzberger Brandmauer wurde bereits 1988 vor ihnen gewarnt: „Rheinländer raus – Ausländer rein!“ Dieses Wunder ereignete sich dann 1990 tatsächlich – in SO 36, wie der an der Mauer gelegene Teil Kreuzbergs auch heißt: Plötzlich zogen alle jungen Leute von dort nach Osten, in den Prenzlauer Berg oder nach Friedrichshain. Und die „Scene“-Touristen vergnügten sich bald auch nicht mehr in SO 36, sondern in Mitte. Jetzt hat sich der einstige „Problembezirk“ aber von diesem Schock wieder erholt, weil immer mehr Türken und Araber keine Arbeit haben und eigene Läden eröffnen oder sich sonst wie einen Erwerb verschaffen.

Der Spandauer Osram-Betriebsratsvorsitzende sagte es so: „Früher wurden hier von zehn offenen Stellen neun mit Türken besetzt, heute werden stattdessen neun Ostdeutsche eingestellt.“ Auch dort heißt es demnächst: „McKinsey kommt!“ Denn die Glühbirnenproduktion wird in das Elsass verlagert.

HELMUT HÖGE