Der Mörder war der Vater

Eine Pfarrerin und ein Scheich kämpfen gemeinsam gegen „Ehrenmorde“. In Beiruts Goethe-Institut präsentieren sie die erste interkonfessionelle Initiative zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen

AUS BEIRUT CHRISTINA FÖRCH

Fida war 17, als sie ermordet wurde. Der Täter überraschte sie aus dem Hinterhalt und erschoss sie im Schlaf. Die Mutter wurde ebenfalls Opfer, da sie ihre Tochter schützen wollte. Der Mörder war Fidas eigener Vater. Sein Motiv: Sie habe die Ehre der Familie beschmutzt.

Das Verbrechen geschah letzten August in der libanesischen Hauptstadt Beirut. Fidas Familie hatte jahrelang in Deutschland gelebt. Die Kinder waren gut in der deutschen Gesellschaft integriert, selbst die Mutter sprach deutsch. Nur der Vater, ein Schiit, lebte in Isolation – er war arbeitslos, hatte kaum Deutsch gelernt, verweigerte sich der fremden Gesellschaft. Er fühlte sich gedemütigt und meinte, die Kontrolle über seine Tochter zu verlieren. Aus diesem Grund entschied er sich, die Familie in den Libanon zurückzubringen unter dem Vorwand, dort endlich mal wieder Urlaub zu machen.

„Eines Tages erschien ein verheultes Mädchen bei uns“, erinnerte sich Fredericke Weltzien, die Pfarrerin der deutschsprachigen Gemeinde in Beirut. „Sie war sich sicher, dass ihr Vater sie töten würde.“ Grund: Er hatte ihr Tagebuch gelesen, in dem Fida von der Beziehung zu ihrem Freund in Deutschland geschrieben hatte. Die Pfarrerin versteckte das Mädchen zwei Tage in der Gemeinde, danach wollte Fida zu einem Onkel, bei dem sie sich sicher glaubte.

Zwei Monate später war Fida tot. „Vielleicht würde sie noch leben, wenn die Familie nie nach Deutschland gegangen und Fida traditionell aufgewachsen wäre“, sagte die Pfarrerin. Doch so genannte Ehrenmorde geschehen nicht nur in Migrantenfamilien. Für Weltzien war der traurige Vorfall Anlass für die Gründung einer ungewöhnlichen Initiative.

Hinzu kam, dass sie kurz darauf einen schiitischen Scheich kennen lernte, der ebenfalls gegen Gewalt gegen Frauen kämpfte. Scheich Hassan Scharifi konnte in einem anderen Fall erfolgreich vermitteln und den libanesischen Ehemann davon abhalten, seine deutsche Frau zu schlagen. Das stünde im Widerspruch zum Islam, klärte der Schiit den Mann auf. Pfarrerin und Scheich schlossen sich zusammen und suchten weitere Mitstreiter. Ein maronitischer Pfarrer kam dazu sowie Vertreterinnen von Frauenorganisationen und Rechtsanwältinnen.

Am vergangenen Donnerstag stellte sich das neue Forum in einer ersten Konferenz vor, die im Beiruter Goethe-Institut abgehalten wurde. Weitere Veranstaltungen sollen folgen, einerseits um die öffentliche Wahrnehmung des Problems zu verstärken, andererseits um ihm interreligiös zu begegnen. Für Weltzien ist Gewalt gegen Frauen nicht nur ein arabisches oder gar islamisches Problem. Es gehe durch alle Gesellschaftsschichten und Länder. Die Podiumsteilnehmer vertraten verschiedene Herangehensweisen.

Die libanesische Frauenrechtlerin Danielle Howayek meinte, im Libanon sei das Thema Gewalt immer noch ein privates, kein öffentliches Problem. Sie plädierte für mehr Öffentlichkeitsarbeit und für eine Änderung der libanesischen Gesetze, da diese oft die Täter schützten. Außerdem verlangte sie, den Begriff „Ehrenmord“ nicht mehr öffentlich zu benutzen – denn Ehre und Mord seien gänzlich unvereinbar.

Scheich Scharifi, Mitglied des Höchsten Islamischen Rats der Schiiten, bemängelte die falsche Interpretation islamischer Gesetze. „Tradition, nicht Religion ist das Problem“, erklärte er. Der Islam lasse Gewalt gegen Frauen nicht zu. Der Koran schreibe sogar vor, die Frau zu ehren.

Der Scheich sieht seine Rolle hauptsächlich darin, die Gläubigen über die wahre Bedeutung religiöser Gesetze aufzuklären. Doch Scharifi wurde auch schon oft bei akuten Fällen als Vermittler und Richter aktiv. „Hätte ich von Fida gewusst, dann hätte ich ihren Vater ins Gefängnis gebracht, und sie würde noch leben“, sagte er. So klare Worte sind immer noch eine Seltenheit bei islamischen Religionsgelehrten.

Pater Hadi Al’aya wiederum hatte einen sehr christlichen Standpunkt und appellierte an das Gewissen der Menschen. Der Priester hat eine Gefängnisseelsorge gegründet und betreut momentan 24 Häftlinge, die einen „Ehrenmord“ begangen haben – Väter, ältere Brüder oder andere Verwandte der Opfer.

Fidas Vater sei nach wie vor davon überzeugt, das Richtige getan zu haben, berichtete der Pater. Er würde jetzt die Todesstrafe einer langen Inhaftierung vorziehen, „damit ihn sein Gewissen nicht länger plagt“. Die Maxime des Paters ist: „Die Täter brauchen einen Raum, in dem sie ihre Tat überdenken und Reue zeigen können.“

2003 wurden insgesamt nur drei Ehrenmorde vor Gericht verhandelt – die Dunkelziffer liegt sehr viel höher. Die Täter stammten vorwiegend aus benachteiligten Bevölkerungsschichten mit geringem Bildungsniveau.

Die interkonfessionelle Initiative ist ein Schritt zur geschlechterspezifischen Gewaltbekämpfung. Für die Sozialarbeit in einem multireligiösen Land wie dem Libanon ist so eine Zusammenarbeit sogar unabdingbar. Doch selbst wenn Pfarrer und Scheichs in Einzelfällen helfen können – ausreichen wird das nicht. Dazu müsste die Hilfe institutionalisiert werden. Immerhin gibt es Bewegung: Demnächst wird die Caritas in Beirut das erste Frauenhaus bauen.