Töne von einem anderen Stern

Von Stockhausen über Brian Wilson zu Kraftwerk: Mit dem Moog-Synthesizer setzte die Popmusik in den 70ern die Veränderung der Arbeitsverhältnisse in Töne um. Jetzt ist der Moog 40 – und vom Ladenhüter auf dem Schrottplatz der Popgeschichte wieder zum coolen Zeichen geworden

VON CLEMENS NIEDENTHAL

Im Jahr 1730 erregte der tschechische Pater Prokopius Diviš einige Klaviersaiten. Elektrisch, wohlgemerkt. Der erfindige Geistliche nannte seine klingende Höllenmaschine „Mutationsorchestrion Denis d’or“. Er benannte sie also nach jener Eigenschaft, die die bald an den Prälaten von Bruck verkaufte Apparatur erstmalig denk-, ja sogar hörbar werden lies: die elektrische Mutation von Klängen.

Zeitsprung. 224 Jahre später gründete der junge Tüftler Robert Moog, eben noch Student der angewandten Physik an der Cornell University, seine nach ihm benannte Firma zur Entwicklung von „Electronic instruments for the composition and performance of contemporary music“. Zehn Jahre darauf, also 1964, sollte er jenes Instrument vorstellen, das mit seinem Erfinder so eng verknüpft sein würde, wie zuvor nur eine Stradivarigeige oder die elektrisch verstärkten Gitarren eines Leo Fender. Der Moog-Synthesizer taugte zu nicht weniger als einer akustischen und einer ikonografischen Revolution.

Seine mäandernden Klangflächen füllten Karlheinz Stockhausens Studio für experimentelle Musik genauso wie die Tanzflächen der Disko-Ära und später die Rave- oder House-Partys. Die unerhörten Töne aus den klingenden Kisten des Robert Moog sollten das Bild der Popmusik verändern. Und mithin ihre Produktionsbedingungen.

War es das Verdienst der verzerrten E-Gitarre, die Musik mit einer zuvor ungeahnten Körperlichkeit auszukleiden, so überwand der Synthesizer diesen Ort des verschwitzten Rockkörpers buchstäblich spielerisch. Auf einmal kamen die Klänge nicht mehr aus den wahnsinnigen Fingern eines Jimi Hendrix. Auf einmal kamen sie von einem anderen Stern. Einem Ort, den zu Betreten nicht jedem vergönnt war. Denn lange vor seinen digitalen, bis in den Quelle-Katalog hinabgesunkenen Nachfolgern war der Moog-Synthesizer eine doppelt elitäre Maschine: 1964 kostete er mehr als eine gut ausgestattete Mercedes-Limousine. Und erforderte ein musikalisches Verständnis, das sich von keinem der bis dato populären Instrumente ableiten ließ.

Als eine der ersten Rockbands orderten die Rolling Stones gleich mehrere der zunächst noch schrankwandgroßen Synthesizer. Unfähig, die neuen, fremden Klänge in ihren älter gewordenen Sound zu integrieren, schickten sie die Klangmaschinen aber recht schnell an ihren Entwickler Robert Moog zurück.

Aus einem Keith Richards sollte kein Keith Emerson werden. Aus Emerson wurde aber schon bald der erste riesengroße Moog-Popstar. Mit dem Trio Emerson, Lake & Palmer etablierte er einen neuen Typus des Rockmusikers: den heroischen Kommandanten im Musikmaschinenraum. Eine Pose, die von vier Düsseldorfern virtuos zu Ende dekliniert wurde. Spätestens mit ihrer 22-minütigen Fahrt auf der „Autobahn“ wurden Kraftwerk 1974 zu distinguierten Knöpchendrehern und Tastendrückern jenseits der Rockekstase.

In der stoischen, vor allem aber hochsymbolischen Performance von Kraftwerk war der Musiker vom Arbeiter zum Dienstleister mutiert. Moogs Geräte waren für diese Verwandlung ähnlich maßgeblich wie die Datenverarbeitungsmaschinen von IBM für die fast zeitgleich einsetzende Transformation der Arbeitsverhältnisse abseits der Popkulturindustrie. Das Industriezeitalter hatte den eigenen Abgesang angestimmt. Und es waren wohl weniger die Stromgitarrengewitter des Hard Rocks als die oszillierenden Synthesizersounds eines Giorgio Morroder oder der frühen Depeche Mode, die hierfür den Soundtrack lieferten.

Den Computern von IBM wiederum ging die digitale Rechenmaschine eines Konrad Zuse voraus. Und auch Robert Moogs Unternehmungen wären ohne die Pionierleistung eines leidenschaftlichen Tüftlers nicht denkbar gewesen: Leon Theremin, als Lew Sergejewitsch Termen 1896 in St. Petersburg geboren und wie Moog Doktor der Physik. Theremin entwickelte das vielleicht gespenstischste aller elektrischen Musikinstrumente. Sein Ätherophon, das später nach seinem Erfinder schlicht „Theremin“ genannt werden sollte, spielte sich wie von Geisterhand: Allein durch das Bewegen der Handflächen in einem elektromagnetischen Spannungsfeld wurden Töne erzeugt, die, auf eine Lautsprechermembran übertragen, den späteren Synthesizerklängen schon sehr ähnlich waren. Auch die Funktionsweise des 1921 vorgestellten Theremins war der des 43 Jahre jüngeren Moog Synthesizers ziemlich nah: oszillierende Tonerzeugung durch die Modulation und Überlagerung von Klangwellen.

Weitaus komplexer war hingegen das Musizieren auf dem schwarzen Kasten mit der aufgesetzten Stabantenne. Denn ein Theremin hatte weder Tasten wie eine Orgel noch Saiten wie eine Gitarre oder Klappen wie ein Holzblasinstrument. Auch deshalb wohl schlugen die halbherzigen Versuche fehl, das Theremin als konzertantes Musikinstrument zu etablieren.

Kaum ein Horrorfilm verzichtete bis in die Sechzigerjahre hinein auf die heulenden Töne des Ätherophons. Und als Brian Wilson mit dem Beach-Boys-Hit „Good Vibrations“ für die bis dato aufwändigste und bis heute wohl schönste Popproduktion sorgte, war es ein Theremin aus Robert Moogs Instrumentenfabrik, das da im Refrain vibrierte.

Robert Moog selbst hatte zu diesem Zeitpunkt bereits ein neues Lieblingsspielzeug. 1970 präsentierte er den Minimoog, die Blaupause aller späteren Synthesizermodelle. War der riesige Ur-Moog von 1964 noch als reines Studioinstrument konzipiert und von Leuten wie Emerson oder dem Berliner Krautrocker Klaus Schulze gegen die eigentliche Intention seines Erfinders für die Rockbühne angeeignet worden, so war der Minimoog kleiner als ein Rhodes-Piano oder eine Hammondorgel. Gemeinsam mit dem mehrstimmigen Polymoog von 1972 war er die Avantgarde einer technischen Entwicklung, die in den Siebzigerjahren das Popinstrumentarium umkrempeln sollte: 1978 stellte die Firma Roland etwa den ersten von einem Mikrochip gesteuerten Drumcomputer vor.

Als kurz darauf ein Gerät wie das digitale Keyboard DX-7 von Yamaha auf den Markt kam, sahen Moogs analoge Klangkisten auf einmal fast älter aus als Leo Fenders Stromgitarren. Alt genug zumindest, um knapp vor der Jahrtausendwende als nostalgischer Wiedergänger in der Retroschleife einer neuerlichen Pop-Avantgarde zu landen – als Soundspender für digitale Klangbastler einerseits, als distinguierte Hommage an die Epoche der großen Pop-Utopien auf der anderen Seite.

Für Martin Gretschmann ist Robert Moog noch heute der „Rockstar des Synthesizers“. Einer, „dem es wirklich um die Klänge ging, nicht bloß um irgendeine Geschäftsidee.“ Gretschmann ist Tontüftler bei „The Notwist“, einer der relevantesten deutschen Bands der Gegenwart. Sein Elektro-Soloprojekt heißt „Console“. An seinem eigenen Moog schätzt er vor allem den „warmen Klang und die haptische Qualität“ – sprich die großen, punktgenauen Drehregler und die auch im Jubiläumsjahr unverändert solide Konstruktion.

Eben noch Ladenhüter auf dem Schrottplatz der Popgeschichte, sind die Moog-Synthesizer längst zur begehrten Ikone, zum coolen Zeichen geworden. Und letztlich wohl auch zum passenden Symbol einer Popmusikgegenwart, die eben ganz ähnlich funktioniert wie Robert Moogs Synthesizer: als fortwährende Modulation bereits bekannter Töne. Als permanentes Filtern der Klangarchive.