Strategisches Breitmachen

Die Bilder sind so groß wie Wohnungen und die Leinwände heißen Jane Birkin: Julian Schnabel betreibt mit „Malerei 1978–2003“ in der Schirn Kunsthalle Frankfurt Selbstdemontage im großen Stil

Unter den Monstrositäten, die vor rund zwanzig Jahren unter dem Namen Museum in deutsche Städte gesetzt wurden, ist die Frankfurter Schirn Kunsthalle gewiss eine der monströsesten. Hinter den Römer gepresst, zieht sie sich durch einen Hinterhof, als sei sie monumentale Kruste. Versteckte Eingänge sind hier das Hauptmotiv. Selbst die Ausstellungsräume scheinen nur durch die Toilette betretbar zu sein. Bis zum letzten Moment glaubt man, sich im Verwaltungstrakt zu verlaufen. Ein erstaunlich passender Rahmen für den aktuellen Julian-Schnabel-Rückblick.

Mit Tellerscherben auf riesigen Leinwänden fing in den späten Siebzigerjahren für den New Yorker Künstler alles an. Und nachdem er in der von Christos M. Joachimides kuratierten Ausstellung „A New Spirit in Painting“ in der Royal Academy in London 1981 seinen Auftritt hatte, war er auch aus keiner Großausstellung und keinem Artikel über aktuelle Malerei mehr wegzudenken. Einen ersten Dämpfer erlitt die Karriere 1982, als Schnabel nicht zur documenta 7 eingeladen wurde. Trotzdem setzten seine Bilder bis Ende der Achtziger ihren Weg durch die Kunstvereine und Museen dieser Welt fort. Einschlägige Klassikergalerien vertraten den Künstler, der immer mal wieder für die Formulierung der „amerikanischen Positionen im 20. Jahrhundert“ herbeizitiert wurde.

In Frankfurt sieht man nun, wie es weiterging, als die Teller dran glauben mussten, und vor allem: dass es immer weiterging. In sieben Abteilungen hängen nun 65 Bilder, mal furios, mal pastos, dann wieder dünnflüssig und sensibel. Hier grüßt Cy Twombly, dort lachen die Farben der lateinamerikanischen Volkskunst. Zungenartige Formen und Objekt-„Verlängerungen“ stellen Zusammenhänge zu surrealistischen Bildideen her. Manchmal setzt Schnabel interessante Applikationen auf die Bilder, oder er trägt interessante Wörter ein. Anfang der Neunziger werden „Jane Birkin“ genannte Leinwände rundlich verformt, und manche Bilder werden in auffällige Rahmen gesteckt. Neben solchen Variablen bleibt als Konstante immer das Monsterformat. Es lässt sich zudem eine Neigung zum allseits Bekannten und zu Namen mit Aura erkennen. Bilder heißen deshalb „Accatone“ (1978), „Maria Callas“ (1982), „Untitled (Zeus)“ (2003), „Papst Pius IX“ (1987) oder „St. Sebastian“ (1979).

Bilder wie diese ließen sich vielleicht in aller Ruhe und unter malerischen Gesichtspunkten als Ablauf von Entscheidungen, Gesten und Einfällen betrachten, wenn man sie auf einer Katalogseite verkleinert gefunden hätte. In der Ausstellung ist ein derartig offener Zugang jedoch nicht möglich oder sogar unangebracht. Schnabels Bilder, die nicht selten das Format kleiner Wohnungen erreichen, haben als physische Objekte eine allzu bestürzende Wirkung.

Julian Schnabel hat die Größe seiner Leinwände einmal als Voraussetzung einer Dekonstruktion von Kunst mit den Mitteln der Malerei bezeichnet. Dieses vor zwanzig Jahren übliche Renitenzmodell unterläuft er aber an jeder nur möglichen Stelle. Ein Katalogfoto zeigt Schnabel wie Picasso mit nackter Brust im Freien vor einem bemalten Laken, das „Mexican Painting“ heißt. Als großer Umwerter will er auch noch genial-gymnastischer Maler sein, und wahrscheinlich liegt es an dieser humorlosen Anmaßung widersprüchlicher Modelle, dass Schnabels Bilder jetzt so gutmütig und distanzlos wirken.

Gleichzeitig denkt man: Achtung, Malerei – Achtzigerjahre, Cross-Marketing und Wertübertragung zwischen Kunst und Kino –, zumal sich Schnabel inzwischen einen Ruf als Regisseur von Hollywood-finanzierten Off-Hollywoodfilmen erworben hat – und versucht, sich dieses Breitmachen in Frankfurt sozusagen strategisch zu erklären. Allerdings, ein antiamerikanisches, „antikulturimperalistisches“ Gefühl, das ja die Berliner Präsentation der MoMA-Sammlung bei nicht wenigen Kommentatoren ausgelöst hat, will hier nicht wirklich aufkommen. Dazu ist das Ganze zu harmlos, und das vielleicht gerade auch auf der Ebene der kommerziellen Verwertung. Als Besitznachweis taucht erstaunlich oft das Wort „Privatsammlung“ auf. Vielleicht etwas zu viel des Understatements? Der Katalog jedenfalls zeigt Fotos mit den Interieurs Schnabel’scher Besitzungen, wobei die Bilder, die hinter Esstischen, in Salons oder Studios hängen, deutlich als die der Frankfurter Ausstellung zu erkennen sind. Von Verzweiflung ist das zwar alles denkbar weit entfernt – trotzdem wird hier Selbstdemontage in großem Stil betrieben. MANFRED HERMES

Bis 25. April, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Katalog (Hatje Cantz Verlag) 24,90 €