Wer die Furcht erzeugt

Was droht uns in Zeiten des global vernetzten Terrorismus? Vor allem hausgemachter Despotismus, fürchten die Teilnehmer der Tagung „Terror, International Law, and the Bounds of Democracy“ im Potsdamer Einstein Forum

Der südafrikanische Dichter und Maler Breyten Breytenbach, der unter dem Apartheidregime selbst als Terrorist hinter Gittern saß, hält sich mit trennscharfen Kategorisierungen zurück: „Terrorismus ist ein Begriff für alles Mögliche geworden, für jede politische Meinung, mit der man nicht einverstanden ist. In Afrika nannten wir das früher Kommunismus.“ Auch die übrigen 18 Philosophen, Juristen und Soziologen, die das Einstein Forum und das Hamburger Institut für Sozialforschung zur zweitägigen Konferenz „Terror, International Law, and the Bounds of Democracy“ am 4. und 5. März nach Potsdam eingeladen haben, tun sich mit der Frage nach dem Wesen des Terrorismus sichtlich schwer. Wie schon zu RAF- und IRA-Zeiten sind private Kampfhandlungen gegen staatliche Ordnung eine hoch ideologisierte Angelegenheit. Daran kann auch Michael Walzers konsensfähige Definition von Terrorismus als „ungezieltes Töten unschuldiger Menschen mit der Absicht, eine um sich greifende Furcht zu erzeugen“, wenig ändern. Denn auch staatliche Terrorabwehr kann Furcht verbreiten und das ungezielte Töten unschuldiger Menschen in Kauf nehmen.

So äußert sich in vielen Beiträgen der Tagung Skepsis gegenüber den Maßnahmen des global agierenden Sicherheitsstaats. „Der weit verbreitete Verdacht, dass der Krieg gegen den Terrorismus potenziell gefährlicher ist als der Terrorismus selbst, erscheint mir völlig gerechtfertigt“, warnt der Soziologe Richard Rorty. „Als ich vom Attentat am 11. 9. hörte, war mein erster Gedanke: Das wird die Bush-Administration genauso benutzen wie die Nazis den Reichstagsbrand.“ Die Zivilgesellschaft sei heute bereit, die bürgerlichen Freiheiten preiszugeben. Rorty prophezeit, dass dabei ein wohlwollender Despotismus herauskommen kann, wie er heute in Südostasien und in Putins Russland zu sehen ist.

Seit dem 11. September wurden in den USA rund 5.000 Menschen fremder Nationalität ohne Rechtsbeistand und richterliche Kontrolle in Präventivhaft genommen, gesetzliche Einschränkungen, die amerikanische Bürger betreffen sollten, dagegen vom Senat meist abgeschmettert. Für den Juristen David Cole liegt darin immerhin ein Fünkchen Hoffnung. Doch die Doppelmoral erscheint ihm kontraproduktiv: „Es gibt mehr Antiamerikanismus als je zuvor. Und das ist eine Bedrohung für unsere Sicherheit.“

Das Sicherheitsbedürfnis im Kampf gegen die Terrorgruppe al-Qaida hat mit den Kriegen in Afghanistan und im Irak längst globale Ausmaße angenommen. Und damit ist aus der ehemals ideologischen Frage, ob Terroristen Krieger oder Kriminelle sind, ein Problem des Völkerrechts geworden. Denn der internationale Terrorismus wird als Phänomen sichtbar, dessen Akteure außerhalb der Normen zur Regelung internationaler Konflikte handeln. In der Praxis des „targeted killing“ wird die im Kriegsrecht vorgeschriebene Unterscheidung von Kombattanten und Zivilisten aufgehoben. Für den Historiker Dan Diner führt dieses neue Phänomen das etablierte Kriegsrecht in eine Krise. Denn das Kriegsrecht geht vom Sicherheitsbedürfnis des territorialen Staats aus: Gewaltanwendung beruht auf einer Risikoabwägung, um den eigenen Schaden gering zu halten. Das habe sich mit dem Auftreten von Selbstmordattentätern erledigt.

Jan Philipp Reemtsma plädiert für eine neue multinationale Terrorismuskonvention. Die allerdings soll auf eine ideologielastige Begriffsklärung verzichten und nur einzelne Handlungen aufzählen, die als terroristisch gelten und zum Eingreifen verpflichten sollen. Reemtsma möchte den internationalen Terrorismus nicht mit bestimmten Kulturen oder Religionen in Verbindung gebracht sehen. Denn Gruppenphänomene mit paranoiden Binnenstrukturen können überall auf der Welt entstehen: „Timothy McVeigh, Mohammed Atta und Andreas Baader sind eine Bruderschaft.“

Trennscharf in Sachen Terror arbeitet die Kommunikationstechnik. Die Tagungsleiterin Susan Neiman erlebte dies, als sie den Philosophen Avishai Margalit per E-Mail zur Konferenz einladen wollte. Die Antwort von Margalits Server ließ nur wenige Augenblicke auf sich warten: „E-Sec hat in Ihrer Mail einen feindlichen Inhalt ermittelt und die Nachricht zerstört.“

JAN-HENDRIK WULF