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: Der Anschlag in Madrid zeigt eine neue Qualität des Terrors: Gewalt als Selbstzweck

Tote auf Gleisen, zerborstene Wagons, blutende Körper, abgetrennte Gliedmaßen. Wir kennen solche Bilder. Sie ähneln jenen aus Istanbul, wo eine Autobombe vor einer Synagoge explodierte, jenen aus Moskau, wo Terroristen ein Haus sprengten – und jenen des 11. Septembers in New York. Man schaut sprachlos auf diese Bilder. Tote auf dem Bildschirm machen uns immer aufs Neue fassungslos. Wir wissen, dass diese Bilder real sind und doch auch flüchtige Zeichen für uns auf einem Bildschirm, auf dem gleich Günther Jauch lächeln wird. Die Bilder von Toten zeigen uns den Preis, den wir stillschweigend dafür entrichten, stets informiert zu sein. Sie führen vor Augen, wie unangemessen wir, die Medienkonsumenten, reagieren.

Auch daher rührt unsere Beklommenheit. In diesem Fall kommt etwas hinzu: das scheinbar Ziellose, Amorphe dieser Gewalt. Es ging bei diesem Attentat darum, möglichst viele Menschen zu töten – nicht darum, ein bestimmtes Opfer zu treffen. Das ist das Obszöne. Früher waren solche Anschläge stets Indiz für faschistische Täter, die mit Angst und Schrecken den starken Staat herbeibomben wollten. Heute scheint es die gewöhnliche Form des Terrors geworden zu sein.

Die politische Logik spricht für die ETA als Täter. Die ETA hat sich längst von einer militanten Autonomiebewegung in eine kriminelle Organisation verwandelt, die als Selbstzweck existiert und politische Ziele nur noch als Camouflage braucht. In Spanien stehen Wahlen vor der Tür, und so mag dieser Massenmord der Versuch der ETA sein, den Wahlsieg der Konservativen definitiv herbeizubomben. Sie sind für die ETA der klare Feind, und den hat sie bitter nötig, um ihre eigene Existenz halbwegs zu rechtfertigen.

Das klingt nahe liegend; es ist wahrscheinlicher als die etwas luftigen Spekulationen um al-Qaida. Aber die Bilder sprechen eine andere Sprache, eine Sprache jenseits von jedem noch so furchtbaren Kalkül. Die Bilder stellen die Frage, ob dieser Terror überhaupt noch einer politischen Logik gehorcht und einem beschreibbaren Ziel folgt – und sei es noch so irrwitzig.

Vielleicht ist dies das Gesicht eines Terrorismus, der vollständig ins Irrationale kippt. Einen Feind, der furchtbare Methoden anwendet, um sein Ziel zu erreichen, kann man bekämpfen. Man kann ihn verstehen, versuchen, Moderate und Militante zu trennen. Einen Feind, der kein Ziel, keine Ideologie mehr verfolgt, kann man kaum bekämpfen. Auch deshalb sind diese Bilder so verstörend. Zufällig ausgewählte Opfer, unsichtbare Täter, Terror als Selbstzweck. Es ist das Diffuse, das ängstigt. STEFAN REINECKE