Gegen den Terror

Die Bomben von Madrid haben ganz Europa getroffen. Die Reaktion darauf kann nur sein, an Rechtsstaat und Demokratie festzuhalten und die Integration der EU zu fördern

Die Wahl Zapateros lässt hoffen, dass der europäische Verfassungsprozess wieder an Fahrt gewinnt

„Al-Qaida wechselt die spanische Regierung aus“, titelte gestern die italienische Tageszeitung Il Giornale, ein Blatt aus dem Hause Berlusconi, und auch der liberalkonservative Corriere della Sera kommentierte, Spaniens Wähler hätten abgestimmt, „ohne allzu sehr an die Konsequenzen ihres Votums zu denken“. Das ist natürlich nur die halbe Wahrheit, die die Verbitterung vieler Spanier über die Desinformationspolitik ihrer Regierung unterschlägt. Eine halbe Wahrheit aber ist es durchaus: Schließlich riefen die Demonstranten vor der PP-Parteizentrale in Madrid auch den Slogan „Euer Krieg, unsere Toten“.

Besser könnte der Unterschied des 11. März zum 11. September nicht deutlich werden: Während der 11. September 2001 einen weltweiten Schulterschluss gegen den Terror nach sich zog, droht der 11. März 2004 schon innerhalb Europas die Lager zu spalten. Der bittere, anklagende Unterton in der italienischen Rechtspresse kommt ja nicht von ungefähr. Er dürfte treffend die Gefühle Silvio Berlusconis widerspiegeln, dem mit der PP-Regierung in Madrid ein wichtiger Partner abhanden gekommen ist. Und der fürchtet, dass Italien genauso wie Polen, wie Großbritannien – sprich: wie alle anderen im Irak engagierten Staaten – nun ein herausragendes Ziel des Terrors ist, mit ähnlichen Folgen für den Konsens mit seiner Regierung, die ja auch den US-Kurs im Irak gegen den Willen der breiten Mehrheit der italienischen Bevölkerung unterstützt hat.

Es braucht wenig Fantasie, um auch dieses Kalkül hinter den Bomben von Madrid zu vermuten: den Willen, die Staaten Europas auseinander zu dividieren, ja auch „Regierungen auszuwechseln“. Genauso klar aber ist auch, dass der Al-Qaida-Terror keine wirklichen Unterschiede kennt, dass ihm die westlichen Gesellschaften in toto verhasst sind, dass Frankreich und Deutschland genauso auf seiner Liste stehen wie die USA, Spanien, Marokko, die Türkei. Al-Qaida benutzt heute den Irakkrieg, doch weder zeitlich noch logisch war dieser Krieg je konstitutiv für den Feldzug der Fanatiker. Nicht umsonst wurden vor wenigen Tagen Drohungen gegen Frankreich laut: Das Land müsse sich auf Anschläge gefasst machen, wegen des Kopftuchverbots in den Schulen.

Das allein schon verbietet jedes Räsonnieren darüber, ob der Anschlag von Madrid hätte „vermieden“ werden können, etwa wenn das Land keine Truppen in den Irak entsandt hätte. Al-Qaida steht nicht nur für eine bisher einzigartige Brutalität des Terrors, sondern auch für eine Radikalität der Ziele, die von vornherein die Hoffnung ausschließen sollte, man könne es den islamistischen Terroristen „recht machen“. Nichts ist mit al-Qaida verhandelbar, weder im nationalen noch im internationalen Rahmen: Eine Gruppierung, die die Demokratie, den Rechtsstaat, die plurale Gesellschaft bloß als Spielwiese der „Ungläubigen“ sieht, auf der die ihr gotteslästerliches Treiben entfalten, wird sich nie mit weniger zufrieden geben als mit der Unterwerfung oder der Vernichtung des Feindes.

Umgekehrt aber muss auch nach Madrid die Frage weiter erlaubt sein, was die Demokratien tun können, um nicht weiteres Wasser auf die Mühlen al-Qaidas zu leiten. Sicher: Es wäre fatal, wenn Mörder nun die politische Agenda in Europa diktieren und „Zugeständnisse“ herbeibomben könnten. Ähnlich fatal wäre es aber auch, nun umgekehrt im Trotzreflex die Debatte darüber einzustellen, was richtig ist und was falsch im Kampf gegen den Terrorismus. Al-Qaida dürfte sich zum Beispiel über den Irakkrieg gefreut haben, der den Terror nicht bekämpfte, aber mit internationalem Recht brach und so zur hervorragenden Propagandawaffe bei den islamischen Massen weltweit wurde, an der sich die Demütigung der Muslime durch den westlichen „Satan“ bebildern ließ.

Al-Qaida würde es auch dienen, wenn nun in Europa selbst die islamischen Communities ins Fadenkreuz einer Generalüberwachung durch die Sicherheitsbehörden genauso wie eines Terror-Generalverdachts durch die Öffentlichkeit gerieten. Jede Schwächung der Legalität, international wie im Inneren, ist schon ein kleiner Sieg des Terrorismus und eine große Niederlage der Demokratien. Dort, wo nur noch Militärs und Fahnder die Regie führen, hat die Politik abgedankt, ist auch sie auf eine reine Kriegslogik eingeschwenkt.

Europa dagegen bleibt nichts anderes, als seine offene Gesellschaft zu verteidigen. Und auch auf dem Parkett der internationalen Politik auf Lösungen hinzuarbeiten – sei es im Nahen Osten, sei es im Irak –, die auf Konfliktbewältigung setzen, statt deren Eskalation hinzunehmen. Eine wirklich europäische Antwort auf den Terror wird es aber erst dann geben, wenn es auch ein politisches Europa gibt.

Die Wahl Rodríguez Zapateros eröffnet dafür eine Chance. Sie lässt hoffen, dass nun der europäische Verfassungsprozess wieder an Fahrt gewinnt: Es war die Blockadeachse Spanien-Polen, die im letzten Dezember mit dem Schlachtruf „Nizza“ die EU-Regierungskonferenz zum Scheitern brachte. Zapatero dagegen kündigte jetzt schon an, er stehe für die Suche nach einer Lösung bereit. Wohl ebenso wichtig ist auch, dass Spanien jetzt einen vorsichtigen außenpolitischen Kurswechsel vollziehen dürfte. Die Sozialisten haben im Wahlkampf erklärt, sie wollten den Abzug der spanischen Truppen aus dem Irak vorantreiben und eine UN-Lösung anvisieren. Nicht umsonst fürchtet Tony Blair nun, dass in Europa das Lager derer, die bedingungslos an der Seite der USA stehen, mit dem Wahlausgang der PSOE in Spanien deutlich geschwächt ist. Die bisherige Schwäche Europas – sie besteht ja nicht darin, dass es nicht in der Lage ist, sich auf eine Verfassungspräambel zu seinen „christlichen Wurzeln“ zu einigen, wie die Welt gestern insinuierte, ganz als wäre der Verzicht auf eine solche Präambel eine Kapitulationserklärung vor den islamistischen Fanatikern. Europas „gemeinsame Wurzeln“: sie werden mit oder ohne Präambel am besten gepflegt, wenn der Kontinent den Fortschritt zum politischen Subjekt macht.

Al-Qaida ist der Westen in toto verhasst, Deutschland genauso wie die USA, Spanien oder Marokko

Zu einem Europa, das sich gegen den Terror gemeinsam verteidigt, durch Koordination der nationalen Sicherheitspolitiken, durch das Zusammenwirken der Geheimdienste und der Polizeiapparate. Aber eben auch durch das Festhalten am Rechtsstaat, an den Rechten auch des brutalsten Terroristen auf Verteidigung, auf einen fairen Prozess. Und zu einem Europa, das sich auch weltweit dem Kampf gegen den Terrorismus stellt, das aber zu unterscheiden weiß zwischen imperialen Strategien, denen der Feldzug gegen den Terror als Vorwand für unilaterale Lösungen dient, und Schlägen gegen das Netzwerk von al-Qaida.

Denn spätestens die Anschläge von Madrid haben gezeigt: Europa selbst ist betroffen, es ist getroffen – und es muss nun, jenseits fruchtloser Polarisierungen zwischen „Pro-“ und „Anti-Amerikanern“ seinen ureigenen, demokratischen Kampf gegen den Terror aufnehmen.

MICHAEL BRAUN