Leider etwas zu spät gekommen

Bremens Denkmalpfleger gehen publizistisch in die Offensive, um der historischen Bausubstanz mit Argumenten beizustehen. „Nur die authentische Bausubstanz ist Trägerin der historischen Information“ sagt Landeskonservator Georg Skalecki. Der Stadthalle nützt das allerdings nichts mehr

Denkmalschutz braucht Öffentlichkeit. Denkmalschutz muss seine Dialog-Bereitschaft unter Beweis stellen. Denkmalschutz muss überzeugen, aber auch kompromissbereit sein. Fast beschwörend beschreibt Georg Skalecki, Bremens Landeskonservator, diese seiner Auffassung nach unbedingt notwendige Strategie in den einleitenden Kapiteln der neuen Schriftenreihe „Denkmalpflege in Bremen“ (Edition Temmen).

Der dringliche Impetus ist nicht verwunderlich. Seit einigen Jahren geistert die Forderung nach Entstaatlichung des Denkmalschutzes durch Köpfe und Debatten, zugespitzt in der Attacke des Berliner Stadtplaners Dieter Hoffmann-Axthelm gegen deren „autoritär“ agierende, „rechthaberische“ und Prinzipien reitende Vertreter.

In Bremen, wo man den jetzt von Skalecki besetzten Posten jahrelang vakant hielt, war der Denkmalschutz noch nie sonderlich beliebt. Jetzt hat das Kulturressort immerhin 5.000 Euro für die Veröffentlichungen der Behörde bewilligt. Titelthema von Band 1 (der ansonsten unter anderem den Hauptbahnhof und die Windmühlen behandelt) ist das gerade renovierte Haus der Bürgerschaft. Rolf Kirsch, langjähriger Mitarbeiter des Amtes, schildert ausführlich und spannend nicht nur Baugeschichte, sondern auch die vielschichtigen Diskussionen um das wegen seiner Modernität heftig umstrittene Werk der Brüder Wassili und Hans Luckhardt.

Dabei geht Kirsch auch kritisch auf die strikt konservative Haltung des damaligen Denkmalplflegers Rudolf Stein ein, der sich zum Vorwurf des Verfassungsbruchs verstieg. Damit handelte er sich seinerseits eine Beleidigungsklage ein.

Die Bürgerschaft ist einer von 45 denkmalgeschützten Bremer Bauten der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, darunter auch das Aalto-Hochhaus, das ehemalige Berufsbildungszentrum an der Doventorcontrescarpe, das frühere amerikanische Generalkonsulat am Kennedy-Platz, die Wasser- und Schifffahrtsdirektion an der Kaisenbrücke, die Siedlung Kohlmannstraße, St. Lukas in Grolland und St. Remberti an der Schwachhauser Heerstraße. Die Aufzählung zeigt: Die meisten stammen aus den 1950er Jahren, ab den 1960er Jahren besteht akuter Nachholbedarf in Sachen Unterschutzstellung.

Nicht von ungefähr hat Herausgeber Skalecki eine Abbildung der Stadthalle (im unversehrten Zustand) in den Band aufgenommen, die 1964 als wegweisendes Werk neuer konstruktiver Verfahren eingeweiht wurde. „Viele haben die Brisanz des Themas verschlafen“, sagt Skalecki, „da sind wir leider etwas zu spät gekommen“.

Wie, übrigens, fühlt man sich als Vertreterin der „oberen Denkmalschutzbehörde“ des Landes – das ist in Bremen das Kulturressort – angesichts der derzeit zu besichtigenden Stadthallenreste? „Es ist im Augenblick nicht so, wie man sich das vorgestellt hat“, sagt Kulturstaatsrätin Elisabeth Motschmann (CDU). „Aber man hat sich für die wirtschaftliche Nutzbarkeit entscheiden müssen.“ Die hat Motschmann auch beim Radio-Bremen-Sendesaal vor Augen, von dem seit gestern klar ist, dass er nicht unter Schutz gestellt wird (siehe auch Seite 21).

Es ist also zu befürchten, dass Skalecki im nächsten der nun jährlich erscheinenden „Werkstattberichte“ über ein weiteres nicht gerettetes Baudenkmal der Nachkriegszeit berichten muss. Außerdem soll dann die Entwicklung am ehemaligen Überseehafen thematisiert werden. Dabei gehe es wiederum um die „Vermittlung historischer Tiefenschärfe an die Bevölkerung“, um mögliche Umnutzungen und Umbauten, aber auch um den Grundsatz: „Nur die authentische Bausubstanz ist Trägerin der historischen Information.“

Henning Bleyl

Georg Skalecki (Herausgeber): „Denkmalpflege in Bremen“, Edition Temmen, 5,90 Euro