Alles muss auf den Tisch

Der Ärger übers Lehrerarbeitszeitmodell schwappte bis zur ihr nach Berlin: Bildungssenatorin in spe Alexandra Dinges-Dierig im taz-Interview

Interview: KAIJA KUTTER

taz: Frau Dinges-Dierig, seit wie vielen Tagen beschäftigen Sie sich aus der Perspektive einer künftigen Senatorin mit Hamburger Bildungspolitik?

Alexandra Dinges-Dierig: Erst seit ganz wenigen Tagen. Im Übrigen gilt: Zuerst will ich heute das Vertrauen der Bürgerschafts-Mehrheit gewinnen.

Sie sagten am Montag bei Ihrer Vorstellung, die in zwei Jahren gemachten Ansätze der Bildungspolitik seien „gut“. Haben Sie sich denn schon mit allen Änderungen vertraut gemacht?

Nein. Aber ich habe aus der Perspektive der Kultusministerkonferenz verfolgt, was hier bewegt wurde. Der Weg ist richtig. Von der Verkürzung des Abiturs bis zur Stärkung der Hauptschule sind es die richtigen Weichenstellungen. Jetzt muss ich schauen, was aus den Sachen wird, wo es geknirscht hat.

Wo denn?

In erster Linie beim Lehrerarbeitszeitmodell. Das ist bis nach Berlin rübergeschwappt. Hier muss ich sehen, was aus den gerade begonnenen Konsensgesprächen wird.

Das Regierungsprogramm enthält einen Passus zur Schulpolitik. Aus Ihrer Feder?

Nein.

Dort steht, man wolle das Schulsystem durchlässiger gestalten. Wie könnte das gehen?

Für mich ist ein wichtiger Grundsatz, ‚Kein Abschluss ohne Anschluss‘. Das ist das übergeordnete Ziel. Unabhängig von der Schulart hat jeder Schüler Begabungen und Interessen. Wir müssen ihm helfen, einen Abschluss zu machen, der dem entspricht.

Geplant ist laut Regierungsprogramm der Ausbau von Praxisklassen an Hauptschulen. Die SPD kritisiert dies scharf, weil in Bayern diese Hauptschulklassen ohne Abschluss enden.

Da gibt es verschiedene Modelle in Deutschland. In Baden-Württemberg endet dies mit Hauptschulabschluss, das hängt von der Stundentafel ab und ist durchaus möglich.

Die Opposition wirft dem Senat vor, er habe die Durchlässigkeit erschwert. So sei durch die Art der Abiturverkürzung ein Wechsel von der Realschule zum Gymnasium nicht mehr möglich. Brauchen wir hier eine Kurskorrektur?

Schnelle Klassen zum Abitur müssen sein. Wir müssen etwas für die Leistungsstarken tun. Inwiefern dies die Durchlässigkeit erschwert, kann ich nicht sagen, da muss ich mir das Hamburger System erst angucken. Wir müssen sehen, was der richtige Weg der Durchlässigkeit ist.

Vielleicht eine 9-jährige Schule für alle, wie sie die GAL will?

Nein. Schulformdebatten müssen wir nicht wieder anfangen. Pisa zeigt, dass Erfolg nicht von der Schulform abhängt.

Die Abiturverkürzung hat zur Folge, dass alle Gymnasien Ganztagsschulen werden. Finden Sie diese Bevorzugung in Ordnung?

Mir ist eine einseitige Prioritätensetzung nicht bekannt. Da muss ich erst mal gucken, was bisher angedacht worden ist. Ich glaube nicht, dass eine Schulform hier im Fokus steht.

Und wie stehen Sie zur Integration an Grundschulen?

Es gibt hier erfolgreiche Modelle. Wir müssen hier gucken, wie das Kind am besten gefördert werden kann. Das ist eine Einzelfallentscheidung, keine Systementscheidung.

Sie sagen, sie haben genug Kitt, um angeschlagenes Porzellan zu reparieren. Wie geht das?

Das habe ich auf die Frage nach angeschlagenem Porzellan erwidert. Ich will in Kommunikation mit allen eintreten. Ich bin ein Mensch, der sich gern offen, kritisch und konstruktiv unterhält. Es soll alles auf den Tisch und alles gesagt werden. Denn bei allem ist stets ein Fünkchen Wahrheit dran.