Kucken se man: auf bremens leinwand
: Aus Holz wird Mensch: Japanische Liebesdramen von Takeshi Kitano

Zuerst sieht man die Puppen: In der traditionellen Kunst des japanischen Bunraku-Theaters prachtvoll geschnitzte, bemalte und gewandete Spielpuppen, die von jeweils drei Spielern geführt werden, während ein Erzähler ihnen Stimmen verleiht.

Aufgeführt wird ein berühmtes Drama aus dem frühen 18. Jahrhundert, das von der tragischen Liebe zwischen Höfling und Kurtisane erzählt. Ein paar Minuten lang folgt die Kamera der Vorführung: Man sieht die Puppen, die Spieler, Musiker, Bühne, das gespannt auf jede kleine Geste achtende Publikum. Doch dann verwandeln sich in einer virtuosen Schnittfolge die hölzernen Liebenden in lebendige, und diese durchleiden vor unseren Augen die erste von drei ähnlich melancholische Romanzen. Diese finden zwar im Japan von heute statt, sind aber so extrem stilisiert wie das Puppenspiel. So will es die Regie von Takeshi Kitano.

In der ersten Geschichte erfährt ein Geschäftsmann kurz vor seiner Trauung, dass seine frühere Geliebte versucht hat, sich umzubringen. Er eilt zu ihrem Krankenbett, aber sie hat den Verstand verloren. Da lässt er sein altes Leben hinter sich und zieht mit ihr ziellos in die Welt hinaus.

In der zweiten Geschichte erinnert sich ein alternder Gangster an seine Jugendliebe. Sie versprach ihm vor dreißig Jahren, jeden Samstag zu einer bestimmten Zeit auf einer Parkbank auf ihn zu warten. Aus einer Laune heraus besucht er diesen Park und sieht sie, mit seinem in ein Paket verpackten Lieblingsessen, dort sitzen.

In der letzten Geschichte wird eine erfolgreiche junge Popsängerin bei einem Autounfall verletzt, und weil sie ihr lädiertes Gesicht dem Publikum nicht zeigen will, wird sie zur Einsiedlerin. Als einziger darf ihr ergebenster Fan sie besuchen, denn er blendete sich selbst, weil er nichts außer ihr in ihrer makelloses Schönheit sehen will.

Kitano verklärt seine Liebenden nicht zu romantischen Helden, er selber nannte sie „selbstsüchtig und egomanisch“. Durch strenge Stilisierung schafft er Distanz und zeigt, dass das Konzept der reinen Liebe, wie es im Bunraku-Theater gefeiert wird, im heutigen Japan nicht mehr glaubwürdig ist. Dafür schwelgt der Filmemacher um so mehr in seiner Bilderwelt. Jede Einstellung wirkt wie gemalt, in der bildnerischen Tradition Japans konzentriert er sich dabei besonders auf Landschaften in den verschiedenen Jahreszeiten.

Takeshi Kitano ist in Japan eher als Unterhaltungstar im Fernsehen denn als Filmemacher bekannt. Das ist etwa so, als wären Thomas Gottschalk und Wim Wenders in einer Person vereinigt. In Europa wurde er durch seine Filme „Sonatine“, „Hana-Bi“ und „Brother“ bekannt, ähnlich elliptisch und originell inszeniert, aber immer mit einer heftigen Prise von Yakuza-Machismo und Gewalt gewürzt.

Darauf verzichtet er hier fast völlig – in der Episode mit dem Gangsterboss wird nur im Off geschossen. Kitano selbst beschränkt seine Mitwirkung diesmal auf Regie, Drehbuch und Schnitt. Sonst pflegt er auch die stets markigen Hauptrollen seiner Filme zu übernehmen. Somit hat er nun alle Erwartungen triumphal enttäuscht.

Wilfried Hippen

Im Kino 46 (OmU) von Do bis Di um 20.30 Uhr, nächste Woche Fr bis So um 18.00 Uhr