Elend für alle

Deprimierende neue Eigentlichkeit: Sibylle Berg lässt in ihrem neuen Roman „Ende gut“ die Welt untergehen

Pop bedeutet so viel wie platzen, und wenn in der Popliteratur etwas platzt, sind das in der Regel Seifenblasen. Doch seit Terroristen zwei Flugzeuge in zwei Hochhäuser steuerten, platzen öfter auch zwischen zwei Popliteratur-Buchdeckeln echte Bomben. Joachim Bessing, der mit seinen Popautorenfreunden Kracht, Stuckrad-Barre und Co. bereits in der gepflegt-dekadenten Adlon-Atmosphäre einen neuen Krieg herbeigesehnt hatte, beendete seinen Romanversuch „Wir Maschine“ mit einer Terrorexplosion der Hamburger Innenstadt; Kracht selbst fantasierte sich in „1979“ ins revolutionäre Teheran und in ein chinesisches Arbeitslager, und Michel Houellebecq nahm in „Plattform“ prophetisch die Anschläge auf Bali vorweg. Die schillernden Oberflächen zerreißen, es zeigt sich das Gesicht der neuen Eigentlichkeit. So schließt sich der Kreis zwischen den Dandys des schönen Scheins und den Anti-Unmoralisten des hässlichen Seins.

Sibylle Berg changiert stets zwischen beiden Positionen. Gern und bevorzugt auf ihren eigenen Buchumschlägen inszenierte sie sich als Diva, entwarf in ihren Texten immer wieder die Person der Popstar-Autorin. Davon abgesehen aber gehört sie sicher eher in die Kategorie der real deprimierenden neuen Eigentlichkeit: In ihrem jüngsten Roman reiht sie sich unter jene Schriftsteller ein, die dem Spaß mit Terror und Bomben ein Ende setzen.

Mit ihren unbarmherzigen Romanen, Erzählungen und Essays hat sie uns seit ihrem Debüt „Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot“ auf unvergleichliche Art deutlich gemacht, dass Dante sich geirrt hat. Als der nämlich durch das Tor schritt, über dem stand: „Lasst, die ihr hier eintretet, alle Hoffnung fahren“, da betrat er mitnichten den ersten Kreis der Hölle, sondern nur eine beliebige mittelgroße Stadt in Deutschland. Vermutlich an einem Sonntag, den selbst Dante nicht in so schwarzen Tönen hätte besingen können wie Frau Berg.

Wer da noch an den Himmel auf Erden oder gar das Gute im Menschen glaubt, wendet sich mit Grausen ab, die anderen preisen jedes neue Verbalmassaker als Offenbarung. Kaum ein deutscher Autor vereinigt so gegensätzliche Meinungen auf sich wie Berg. Sie selbst nahm die fast flehentlichen Bitten, doch mal von Netterem zu schreiben als von Tod, Zerstückelung und abartigen Sexpraktiken, gelegentlich in ihre eigenen Texte auf, um gleich einen weiteren Exzess draufzusatteln. In ihrem Roman „Sex II“ etwa setzte sie mittels einer Erzählerin mit Röntgenblick Rekordmarken in Sachen beobachteter Abartigkeit.

Nun also, in „Ende gut“, geht die Welt unter, „das ist das Beste, was mir jemals passiert ist“. Ist das so? Braucht Frau Berg den Weltuntergang tatsächlich als Bestätigung ihrer Sichtweise? Dass dem nicht so ist, zeigt sie am Anfang ihres Buchs. Die ersten hundert Seiten bieten, gänzlich unbelastet von jedweder Handlung, Nihilismus und Weltverneinung in einem Format, wie wir es selbst von Sibylle Berg so noch nicht gekannt haben und wie es ihr zumindest in der deutschsprachigen Literatur auch niemand nachmachen kann. Das neue Berg-Werk beginnt als manisches Opus malum des Zivilisationsekels und überrollt den wehrlosen Leser wie eine gewaltige Schlammlawine.

Nach dieser Einleitung gelingt es ihr zugegebenermaßen spielend, die Menschheitsdämmerung mit geradezu zwingender Glaubwürdigkeit in ihren Text einzubringen, ist diese doch ohnehin immer nur einen winzigen Schritt von Bergs sonstigen Gegenwartsbeschreibungen entfernt. Viel braucht es ja in der Tat nicht, da muss man kein Michael Crichton sein, um sich die Endzeit herbeizufabulieren, da reicht das Aufeinandertreffen von Alltäglichkeiten und ein paar Möglichkeiten: Bomben in der Fußgängerzone, vergiftete Supermarktware, ein Seuchenausbruch, gefolgt von Plünderungen, Pogromen und allgemeinem Sittenverfall.

Und doch, so schön der Moment sein mag, wenn alles mit einem großen Knall in die Luft fliegt, die Spannung liegt immer auf dem Moment kurz davor. Den echten Pessimisten lässt erst der Worst Case richtig aufatmen, wenn alles schief gelaufen ist, was schief laufen konnte, doch danach hat er keine Aufgabe mehr. Je mehr die Zivilisation in „Ende gut“ im Chaos versinkt, umso unangemessener wirkt Bergs Zivilisationskritik. Wenn erst einmal die Welt in Flammen steht, fällt kaum noch auf, wie dumm die Menschen sind.

Die Bombe im Terrorformat hat sich im 21. Jahrhundert noch schneller als Metapher etabliert als die Atombombe im 20. Die Verlockung, sich dieser Metapher zu bedienen und Feuer an das Pulverfass Gegenwart zu legen, ist offensichtlich groß für Autoren. Doch was kommt danach? Immerhin heißt das Buch „Ende gut“, was programmatisch klingt. Tatsächlich hat Berg versucht, eine für sie typische Version des Happy Ends zu liefern. Für so viel Tapferkeit gebührt ihr sicher Respekt, wagt sie sich da doch auf ganz unbekanntes Terrain. Der sich aufdrängende Schluss, dass der große Knall notwendig ist, damit irgendetwas positiv ausgehen kann, erinnert allerdings an Gedankenspiele eher unguter Vorgänger.

Niemand kann das Erbärmliche unserer Welt schonungsloser bloßlegen als Sibylle Berg, niemand seziert den kranken, aufgedunsenen Körper Mensch mit so scharfen Sätzen wie sie. Sie ist unnachahmlich darin, uns an den Rand der Verzweiflung und darüber hinaus zu bringen, was ihr über weite Strecken auch in „Ende gut“ gelingt. Besser aber ist sie, wenn sie dem Leser keine Rückfahrkarte mitgibt.

SEBASTIAN DOMSCH

Sibylle Berg: „Ende gut“. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2004, 335 S., 19,90 €