Buchbrücken bauen

Buchmessern III: Heißlaufende Phrasendreschwerke – bei der Eröffnung der Buchmesse gaben die Redner ihr Bestes

Zu den Tücken einer Buchmesse gehört es, dass sich inhaltsschwere Begriffe durch inflationären Gebrauch zu Leerformeln wandeln oder gleich als solche angelegt sind. Von „Nachdenklichkeit“ und „Toleranz“ ist in diesen Tagen in Leipzig viel die Rede, von „großen Gedanken“ und „schwerwiegenden Erkenntnissen“, von „Büchern, die Brücken bauen“, und Menschen, die „kommunizierende Gefäße und Verbündete“ sind, „Adressen der Literarität“. Umso blumiger die Worte, die die Bedeutung des Buches für die Menschheit herausstreichen sollen, umso ehrlicher und erdiger wirkt der Lokalpatriotismus, zu dem diese Messe vermehrt Anlass gibt. Leipzig ist stolz – auch auf sich selbst.

Am Bahnhof preist ein Plakat die Stadt als „Zentrum des Lesens und der Welt“, die Leipziger Volkszeitung nennt „10 Gründe, warum Leipzig als führende Buchstadt gilt“ (wovon die Hälfte dann doch mit der Buchmesse in Zusammenhang steht), und Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee betont bei der Eröffnungsfeier im Gewandhaus einige Ticks zu professionell seine inbrünstige Leipzischkeit. Nachdem er erst missverständliche Stoßseufzer der Erleichterung von sich gibt – „endlich wieder Leipziger Buchmesse“, „endlich sind wir wieder hier“ –, begrüßt er nicht nur den neuen Messechef Wolfgang Marzin, sondern nennt auch den Sieger des Architekturwettbewerbs um die Neugestaltung des Uni-Campus, den Niederländer Erick van Egeraat. Für Tiefensee „ein großer Wurf“, und überhaupt: Die Leipziger Universität sei die zweitälteste Deutschlands. Seinen Rednernachfolgern Dieter Schormann, der lettischen Außenministerin Sandra Kalniete und dem Präsidenten des internationalen PEN-Clubs, Jiri Grusa, ist es dann vorbehalten, ordentlich weiße, aber auch ein paar dunkle Wolken durchs Gewandhaus zu treiben. Vor allem Grusa zeichnet sich darin aus, seine Rede ist bevölkert von gängigen und oskuren Metaphern, von Kühlschränken (Osteuropa) und Operationen (Erster und Zweiter Weltkrieg). Einen kleinen Skandal gibt es jedoch: Als Sandra Kalniete davon spricht, dass „Nationalsozialismus und Kommunismus gleichermaßen verbrecherisch“ waren und es keine Hierarchien der Bewertung geben dürfe, verlässt der anwesende Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Salomon Korn, erbost die Eröffnungsfeier. Ein Zwischenfall, den ein Großteil des Auditoriums kaum bemerkt. Auch Mittwochsreden können ihre Tücken haben.

So fragt man sich dann, was den Reiz dieser Veranstaltung eigentlich ausmacht. Das durch und durch Ritualisierte? Die Klassikschlager der Hofer Symphoniker? Das Büfett? Für die Leipziger mag es wirklich die Feierlichkeit als solche sein, der Stolz auf die Buchmesse. Für die professionellen Beobachter dagegen sicher der nachfolgende Empfang, auf dem in Ruhe wesentliche Dinge, unwesentliche und die Bücher der Saison besprochen werden können. So hört man, dass die Süddeutsche Zeitung mit ihrer Jahrhundertbibliothek einen richtigen Coup gelandet hat. Zwei bis gar fünf Millionen Vorbestellungen sollen vorliegen, was natürlich schön für die SZ ist. Für die Verlage aber, so die Mitarbeiterin eines Münchener Verlags, könnte sich dieser Erfolg als Bumerang erweisen, denn die Leseleistung des Publikums sei nicht beliebig steigerbar und belletristische Neuerscheinungen hätten es so noch schwerer als ohnehin.

Diskutiert wird auch das Gerücht, dass sich der Bertelsmann-Buchclub von seinem Engagement als Hauptsponsor von „Leipzig liest“ zurückziehen wolle, was allerdings vom Buchclub-Geschäftsführer Rainer Wittenberg in der Leipziger Volkszeitung schon dementiert wurde: „Ganz klar: nein. Leipzig ist für uns eine Verpflichtung, zu der wir uns weiter bekennen.“ Und ebenfalls ist die Rede von Udo Lindenbergs „Der Panikpräsident“-Buchvorstellung in der Moritzbastei. Diese sei erstaunlich angenehm gewesen, interessant gar, heißt es, trotz Lindenberg, trotz Ben Becker, erst der Auftritt von Benjamin von Stuckrad-Barre habe den Trashfaktor in ungeahnte Höhen getrieben. Die Tücken der Buchmesse, sie lauern eben überall.

GERRIT BARTELS