„Mein Handy und ich“ im Unterricht

Mobiltelefone gehören zum Alltag der Schüler – aber nicht zum Schulalltag. Die deutschen Netzbetreiber liefern kostenlos Unterrichtsmaterialien, um Handys auch pädagogisch aufzuwerten. Gutes Thema, verstaubte Pädagogik, urteilen Pädagogen

VON ANNA LEHMANN

Handys spielen in der Schule nur dann eine Rolle, wenn sie klingeln. „Ausschalten oder wir kassieren sie ein“, berichtet Gesamtschullehrer Helge Dietrich von der gängigen Praxis im Unterricht. Mitarbeiter des „Informationszentrums Mobilfunk“ wollen die Telefone aus ihrer geduldeten Nische herausholen und erarbeiteten Unterrichtsbroschüren zum Thema „Mein Handy und ich“. Die Probeexemplare für den Deutsch- und Sozialkundeunterricht in der Mittelstufe werden gegenwärtig bundesweit an 10.000 Schulen verschickt. Die können auch kostenlose Klassensätze bestellen. „Wir begrüßen das sehr in einer Zeit, da Unterrichtsmaterialien viel Geld kosten“, freut sich Dietrich, der gleichzeitig dem Verein „Bildung und Erziehung“ vorsteht. Ganz uneigennützig ist diese Offerte nicht – hinter dem gemeinnützigen Verein „Informationszentrum Mobilfunk“ stehen die deutschen Netzbetreiber.

Es sei normal, dass Interessenverbände die Schulen mit Unterrichtsmaterialien bombardierten, sagt Michael Retzlaff vom Landesinstitut für Schule und Medien (Lisum). Das Lisum will Schüler zum kritischen, kreativen und sachgerechten Umgang mit Medien anregen. Handys dürfen dabei nach Ansicht Retzlaffs nicht einfach nur verdrängt werden, zumal sie längst zum Schulalltag gehören: Die Hälfte der Fünft- und Sechstklässler besitzt nach Informationen des Informationszentrums ein Handy. Bei den 13- bis 17-Jährigen steigt der Anteil der Handy-Telefonierenden auf 80 Prozent. „Das Thema gehört nicht nur in die Pause“, meint Retzlaff und ist grundsätzlich dafür, dass die Netzbetreiber in die Info-Bresche springen. Denn das Lisum habe nicht das notwendige Geld, solche Materialien zu erarbeiten. Dennoch kritisiert Retzlaff, dass die Netzbetreiber nur Papier und nicht auch gleich die Hardware aufbringen: „Um den verantwortungsvollen Umgang mit Handys zu lernen, braucht man solche. Aber dafür hat es offenbar nicht gereicht.“

Um sich vom Verdacht der Interessenpolitik reinzuwaschen, hat das Informationszentrum Mobilfunk das Projekt pädagogisch überwachen lassen, unter anderen vom Verein „Bildung und Erziehung“ sowie vom Lisum. „Wir haben uns redlich bemüht, keine einseitigen Informationen zu verbreiten“, sagt Dagmar Wiebusch, die Vorsitzende des Infozentrums. So haben die Autoren auch Themen wie Elektrosmog, Handyschulden und -entsorgung aufgegriffen. Ausgespart wird allerdings Soziales, wie zum Beispiel die Spaltung in Handybesitzende und Schülerinnen, die keins besitzen.

Über den pädagogischen Anspruch des Umsonst-Materials ist Retzlaff enttäuscht. Die darin propagierten Mittel, wie Pro-und-Contra-Tabellen seien veraltet. Die Lehrer würden dort abgeholt, wo sie ständen. Und das sei, wie die Pisa-Studie offenbarte, recht weit zurück. „Kein neues Lehren und Lernen“, ist Retzlaffs Fazit.

Dennoch glaubt er, dass die Hefte akzeptiert werden, allein deshalb, weil sie Lehrern genaue Instruktionen gäben, um die nächsten drei Stunden zu überstehen. Genauso denkt Helge Dietrich. Seine Kollegen seien begeistert gewesen. Außerdem biete das Thema Handy neue Herausforderungen, sagt der 59-Jährige. Im Gegensatz zu ihren Schülern hätten viele Lehrer nämlich keines.