Eine Frage der Perspektive

Ist Windkraft gut oder schlecht? Der „Spiegel“ schreibt: schlecht. Nun hat ein Redakteur gekündigt, weil sein eigener, positiver Text zum Thema monatelang zurückgehalten wurde. Die taz dokumentiert Auszüge aus beiden Artikeln

ZUSAMMENGESTELLT VON BERNHARD PÖTTER
UND STEFAN KUZMANY

Montag ist Spiegel-Tag, heißt es in der Eigenwerbung des Hamburger Magazins. Für den Spiegel-Redakteur Harald Schumann war der Montag letzter Woche ein ganz besonderer Spiegel-Tag: Er erklärte, nach siebzehn Jahren seinen Abschied nehmen zu wollen. Empört über eine Titelgeschichte über die Nutzung und Förderung der Windkraft, kündigte er seine Kündigung an. Heftig wurde in der Redaktion über die innere Pressefreiheit beim Spiegel debattiert. Inzwischen hat Schumann seine Ankündigung wahr gemacht: Er wird das Nachrichtenmagazin verlassen. Zu sehr widersprach die Darstellung von „hoch subventionierter Landschaftszerstörung“ und „Verspargelung der Landschaft“ seiner eigenen Sicht auf das Thema. Gedemütigt musste sich Schumann insbesondere deshalb fühlen, weil er selbst gemeinsam mit seinem Kollegen Gerd Rosenkranz bereits im Herbst vergangenen Jahres eine große Geschichte zur Zukunft der deutschen Energiepolitik recherchiert und geschrieben hatte. Dieser Text war im Spiegel nicht erschienen – die Chefredaktion wollte ihn nicht. Zu dem redaktionsinternen Konflikt befragt, äußerte sich Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust in der Netzeitung: Zu Personaldingen könne er sich nicht äußern – aber grundsätzlich sei es Aufgabe der Chefredaktion, „unsinnige oder nicht der Realitätsprüfung standhaltende Geschichten nicht zu drucken“. Diesen indirekten Vorwurf der Inkompetenz wollte Schumann nicht auf sich sitzen lassen. Gestern veröffentlichte er seinen ursprünglichen Text in der Netzeitung. Die taz dokumentiert Auszüge aus beiden Texten. Sie sind ein Beispiel dafür, dass selbst bei gründlichster Recherche zum selben Thema zwei vollkommen unterschiedliche journalistische Texte entstehen können – je nachdem, welche Meinung der Autor vertritt.

Die Schalt-zentrale

Sowohl Schumann und Rosenkranz als auch Frank Dohmen und Frank Hornig, die Autoren der umstrittenen Titelgeschichte, beschäftigen sich mit einem grundsätzlichen Problem der Stromversorgung: es muss immer genau so viel ins Netz eingespeist werden, wie auch verbraucht wird.

Dohmen/Hornig: „ ‚Anspruchsvoll war die Arbeit in den Hochsicherheitsräumen schon immer‘, sagt der Leiter der Netzführung Nord, Norbert Schuster. (…) Doch mit den ruhigen Zeiten ist es seit der wachsenden Bereitstellung von Windenergie vorbei. (…) ‚Die Bandbreite ist gewaltig‘, sagt ein E.on-Netz-Techniker. Daran ändern auch die in die Planung einfließenden Windprognosen wenig.“

Rosenkranz/Schumann: „Weil Elektrizität nicht speicherbar ist, muss jederzeit genau so viel ins Netz eingespeist werden, wie auch nachgefragt wird – für Techniker wie Markus Wallura, 36, ‚ein toller Job‘. (…) Noch vor drei Jahren, so berichtet der Meister der Strombalance, ‚war das eher langweilig‘. (…) ‚Jetzt toben sich in unserm Netz alle möglichen Leute aus‘, freut sich Wallura. ‚Nun ist immer was los, das macht es interessant.‘

Die Rolle der Politik

Grundsätzlich unterschiedlich schätzen die beiden Journalistenteams die Rolle der Bundesregierung und der Energiekonzerne ein.

Dohmen/Hornig: „Die deutschen Stromkonzerne setzen bislang auch auf den Einsatz neuer, moderner Steinkohlen- und   

Braunkohlenkraftwerke (heute zusammen rund 50 Prozent). Milliardeninvestitionen für entsprechende Referenzanlagen sind indes vorerst gestoppt: Der Bau könnte, je nachdem, wie der Emissionshandel letztlich ausgestaltet wird, schlicht unrentabel werden, fürchten RWE, Vattenfall und E.on. Im Gesamtzusammenhang würde sich die Energiepolitik des Umweltministers damit als durchaus raffiniert erweisen.

Das dämmert jetzt der Energiewirtschaft: Über Instrumente wie den Emissionshandel verteuert sie die herkömmlichen Energien. Dadurch steigen die Chancen, dass die ebenfalls teure Windkraft in einigen Jahren tatsächlich wettbewerbsfähig wird. Aber um welchen Preis? Wie viele Arbeitsplätze werden verschwinden, weil der Strompreis durch diese Politik hoch gehalten wird?“

Rosenkranz/Schumann: „Prompt spricht auch Minister Clement, der sich schon als Regierungschef in Düsseldorf für die RWE-Braunkohle stark machte, vom ‚drohenden Investitionsstopp‘. Sein Staatssekretär Georg Wilhelm Adamowitsch, ehedem selbst Manager bei den inzwischen von RWE geschluckten Vereinigten Elektrizitätswerken Westfalen (VEW), versprach schon mal, die Regierung werde den ‚Klimaschutz nicht im nationalen Alleingang‘ betreiben und auch den Netzbetrieb gewiss nicht ‚kaputtregulieren‘. Die Strombranche fordere zu Recht ‚Renditesicherheit für 35 Jahre‘.

Aber selbst wenn sie wollte, könnte die Regierung solche Garantien gar nicht abgeben. Niemand weiß heute, welche Richtung die Energiepolitik einschlagen wird, wenn die Konsequenzen des heraufziehenden Klimawandels weltweit spürbar werden. In Wahrheit dient die Drohkulisse der Stromer und ihres Ministers denn auch vor allem einem Zweck: neue Wettbewerber klein zu halten.“

Die Preisentwicklung

Was kostet der Ökostrom die Verbraucher? Je nach Perspektive liest sich die Antwort wie folgt.

Rosenkranz/Schumann: „Und die Strompreise haben längst wieder das alte Niveau erreicht. Konnte sich ein dreiköpfiger Haushalt im Jahr 2000 noch für weniger als 41 Euro monatlich mit Strom versorgen, zahlt er dafür nun wieder über 50 Euro. Von dieser Steigerung entfällt nur etwa die Hälfte auf die Ökosteuer und andere staatliche Gebühren. Den Rest streichen die Konzerne ein.“

Dohmen/Hornig: „Denn für die Verbraucher und die Gesamtwirtschaft wäre eine Weiterführung des Systems ein äußerst teures Unterfangen. Sie würde die angestrebte Verdoppelung des EEG-Anteils die Strompreise stark verteuern. Ein durchschnittlicher Stromkunde müsste nach Berechnung der drei Forschungsinstitute schon im Jahr 2010 mit weiteren Mehrbelastungen in Höhe von jährlich rund 12,20 Euro rechnen.“

Der Wirtschaftsfaktor

Kurbelt die Windkraft die deutsche Wirtschaft an? Auch diese Frage kann man mit Begeisterung oder Skepsis beantworten.

Dohmen/Hornig: „Seit Wirtschaftsminister Clement den Ökostrom attackiert, soll nach der ökologischen nun auch die ökonomische Erfolgsgeschichte der Propeller-Zunft geschrieben werden: als Geschichte einer florierenden Branche, die jährlich immerhin drei Milliarden Euro Umsatz macht und nach eigener Schätzung bereits 45.000 Arbeitsplätze geschaffen hat. Zuletzt häuften sich allerdings die Rückschläge: So wurden nach dem Boomjahr 2002 im vergangenen Jahr erstmals weniger Mühlen gebaut. Anbieter wie Nordex stürzten sogar in die roten Zahlen. Auch das Exportgeschäft läuft schlechter als erhofft. (…) ‚Der Traum von einer mittelständischen Industrie, die Technologieführung in der Welt beanspruchen kann, ist für fast alle Anbieter beendet‘, heißt es in einer Studie der Privatbank M. M. Warburg.“

Rosenkranz/Schumann: „Die Regelung hat eine einzigartige industriepolitische Erfolgsgeschichte ausgelöst. Mit 3,5 Milliarden Euro jährlich setzt die durchweg mittelständisch geprägte Windtechnikbranche mehr um als alle Unternehmen der Bio- und Gentechnologie zusammen. In Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein oder Ostfriesland gehören Windanlagenhersteller zu den umsatzstärksten Betrieben. Bei Branchenmessen wie der ‚Husumwind‘ im vergangenen Monat verbreiten junge Ingenieure und Geschäftsleute inmitten der sonstigen wirtschaftlichen Depression Optimismus und Dynamik. Vor fünf Jahren habe man kaum mit Generatoren der Megawattklasse operiert. ‚Jetzt bieten wir schon Anlagen mit fünf Megawatt Leistung an‘, begeistert sich Fritz Vahrenholt, Ex-Umweltsenator in Hamburg und heute Chef der Windkraftschmiede Repower. Und während in der Energiewirtschaft insgesamt seit 1997 fast 90.000 Arbeitsplätze abgebaut wurden, wuchs die Beschäftigtenzahl in der jungen Windindustrie auf inzwischen rund 45.000.“

Die Zukunft der Energie

Vollends verwirrend sind schließlich die sich völlig widersprechenden Einschätzungen der vier Spiegel-Kollegen, wenn es um die künftige Entwicklung der Energiepreise geht.

Dohmen/Hornig: „Ob die Preise für konventionelle Energie derart ansteigen, wie es die Mühlenbranche erhofft, ist zweifelhaft. Die Forschungsinstitute gehen zurzeit davon aus, dass sich die Rohstoffpreise zumindest bis zum Jahr 2012 nicht wesentlich verändern werden. Sollte sich die Prognose bewahrheiten, ist die Wettbewerbsfähigkeit der Mühlenbauer auch in etlichen Jahren nicht erreicht. Im Gegenteil: Clements Gutachter zumindest erwarten, dass Strom aus erneuerbaren Energien auch im Jahr 2010 noch mit ‚mehr als dem Doppelten des Großhandelspreises für Strom vergütet‘ wird.“

Rosenkranz/Schumann: „Gleichzeitig rechnen auch die Fachleute der Stromkonzerne für die kommenden Jahre mit massiven Preisschüben bei konventionell erzeugtem Strom, weil alte abgeschriebene Meiler durch neue Kraftwerke ersetzt werden müssen. Schon jetzt müssen darum Industriebetriebe oder Stadtwerke, die heute vorsorglich Stromkontingente für 2005 oder später ordern, einen Preisaufschlag von 14 bis 20 Prozent zahlen. Dagegen bewegen sich die Kosten für Windstrom auf der ‚technologischen Lernkurve‘ mit der Verbesserung und Vergrößerung der Rotoren laufend nach unten. Bereits in den vergangenen zwölf Jahren sanken die Kosten für die Kilowattstunde Windstrom um 55 Prozent.

Die Kostenschere zwischen Ökostrom und dem aus konventionellen Großkraftwerken, „geht nicht auseinander, sondern zusammen“, resümiert Johannes Lackmann, Präsident des Bundesverbandes Erneuerbare Energien. Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) rechnet sogar damit, dass die ‚Differenz im kommenden Jahrzehnt gegen null gehen‘ werde. Damit hätte sich das EEG von selbst erledigt.“

Die vollständigen Texte finden Sie im Spiegel, Ausgabe 14 vom 29. März 2004, sowie unter www.netzeitung .de/medien/280662.html