Gespaltenes Irland

Nach der „Glorreichen Revolution“ von 1688 wurde der katholische König Jakob II. von seinem protestantischen Widersacher und Schwiegersohn Wilhelm von Oranien aus England vertrieben. 1689 landete Jakob in Irland, um von dort aus den englischen Thron zurückzuerobern.

Die Kämpfe in Irland zogen sich über zwei Jahre hin, doch in der Schlacht am Boyne nördlich von Dublin fiel die Entscheidung zugunsten Wilhelms. Der Jahrestag, der 12. Juli, ist bis heute protestantischer Nationalfeiertag in Nordirland. „Die Schlacht am Boyne – viele Male neu geschlagen – ist wahrscheinlich die am deutlichsten im Gedächtnis haftende, am lautesten gefeierte und am heftigsten beweinte Schlacht in der irischen Geschichte“, schrieb der Historiker Gerard Hayes-McCoy.

Die Gründung des nordirischen Staatengebildes verlief ebenso blutig wie die gesamte irische Geschichte, in der es von niedergeschlagenen Rebellionen nur so wimmelt: Als die britische Regierung nach dem gescheiterten Osteraufstand von 1916 die Anführer hinrichten ließ, machte sich Empörung unter der Bevölkerung breit. Die Partei Sinn Féin („Wir selbst“), der politische Flügel der IRA, gewann bei den Wahlen 1918 fast drei Viertel der Stimmen und rief die Republik aus.

Das nahm die Regierung in London nicht hin. So kam es zum Unabhängigkeitskrieg. Im Dezember 1920 verabschiedete das britische Parlament schließlich den „Government of Ireland Act“, durch den die Insel geteilt wurde: Irland wurde zum Freistaat, doch sechs der neun Grafschaften Ulsters blieben beim Vereinten Königreich. Es war das größtmögliche Gebiet, in dem die unionstreuen Protestanten eine komfortable Mehrheit stellten.

Die Spaltung des Landes löste auch eine Spaltung bei IRA und Sinn Féin sowie einen Bürgerkrieg aus. Teile der IRA bekämpften das Abkommen und die Truppen des Freistaats, denen die ehemaligen Kampfgenossen nun angehörten. Sie mussten jedoch nach zwei Jahren aufgeben und in den Untergrund gehen.

Der Widerstand gegen die Teilung hörte nie ganz auf. Doch erst mit Beginn der Bürgerrechtsbewegung erzielte er nachhaltige Wirkung. Den Bürgerrechtlern ging es um demokratische Grundrechte, die in Westeuropa längst selbstverständlich waren, nicht jedoch in Nordirland. So war bis 1969 bei Kommunalwahlen nur stimmberechtigt, wer Steuerzahler und Hausbesitzer war. Ein Viertel der erwachsenen Bevölkerung blieb vom Urnengang ausgeschlossen. Geschäftsleute hingegen hatten bis zu vierzig Stimmen. Über die Kommunalverwaltungen sorgten die Protestanten dafür, dass ihre Glaubensgenossen bei der Vergabe von Wohnungen und Arbeitsplätzen bevorzugt wurden. Gegen diese Diskriminierungen protestierte die Bürgerrechtsbewegung. Der Konflikt eskalierte.

Nach mehr als dreitausend Toten begann Mitte der Neunzigerjahre der Friedensprozess, der schließlich zum Waffenstillstand der IRA führte. Zwei IRA-Abspaltungen sowie einige protestantische Organisationen setzen zwar nach wie vor auf Gewalt, haben jedoch kaum Unterstützung in der Bevölkerung. Die britische Regierung setzte in Belfast ein Regionalparlament ein, die Krisenprovinz wählte eine Mehrparteienregierung, der auch Sinn Féin angehört.

Weil die IRA nicht ihr gesamtes Waffenarsenal ausgemustert hat, ließen die protestantischen Unionisten im vorigen Jahr Regierung und Parlament platzen. Bei den Wahlen im November wurden Sinn Féin auf katholischer und die Democratic Unionist Party des reaktionären Pfarrers Ian Paisley auf protestantischer Seite die stärksten Parteien. Seitdem verhandeln die Regierungen in Dublin und London mit den nordirischen Parteien um eine Wiedereinsetzung von Parlament und Regierung. RALF SOTSCHECK