robbenjagd
: Kulleraugen im Anblick des Todes

In einer Massenjagd werden derzeit im Nordosten Kanadas wieder Robben getötet. Rund 12.000 Jäger nutzen die erste Schneeschmelze, um endlich in die Ruheplätze der Tiere einfallen zu können, die erst vor wenigen Wochen ihre Jungen zur Welt brachen. Auf dem derzeitigen Höhepunkt der Jagd werden bis zu 10.000 Robben pro Stunde erlegt – überwiegend die Jungtiere mit ihren kostbaren schneeweißen bis hellgrauen Fellen.

KOMMENTAR VON MATTHIAS URBACH

Die Sorge um die „Robbenbabys“ ist fest in unseren Köpfen verankert. Wir denken an Greenpeace-Aktivisten, die Ende der Siebziger mit Sprühfarbe das Fell von lebenden Robben wertlos machten, an Brigitte Bardot und an Antipelzkampagnen. Wie ein Reflex stellt sich Ablehnung ein – aber ist sie noch berechtigt?

Die Robben sind eben niedlich. Wie viel weniger Mitleid fanden thailändische Hühner, die während der Hühnerpest in Säcke gestopft und mit Planierraupen lebendig begraben wurden. Oder 2,2 Millionen Labortiere, überwiegend Mäuse, die jährlich bei deutschen Tierversuchen verrecken – Tendenz steigend. Die Deutschen schlachten jede Stunde mehr als 4.000 Schweine. Warum sollen die Kanadier keine Robben töten?

Das Hauptargument ist nach wie vor das Leiden der Tiere, die aus Zeitersparnis und um das Fell nicht zu beschädigen niedergeknüppelt und oft lebendig gehäutet werden – auch wenn es offiziell verboten ist. Das Fleisch wird meist nicht verwertet, zuweilen nicht mal das Fell. Doch der Bestand hat sich in 25 Jahren von knapp 2 Millionen wieder auf über 5 Millionen Sattelrobben erholt. Zu viel, urteilt Kanada: Die Robben fräßen den Fischern alles weg.

Ein zynisches Argument. Erstens waren es vor 100 Jahren noch 30 Millionen Robben. Zweitens sind es die rücksichtslosen Fangmethoden der Fischindustrie, die die Fischbestände dezimieren. Sie entnimmt heute den Meeren sechsmal so viel Fisch wie vor 50 Jahren – ohne Rücksicht auf die Dynamik von Nahrungsketten oder auf Jungfischbestände. Irgendwann mussten die Fangflotten an ihre Grenzen stoßen. Aber Schuld haben jetzt natürlich die Robben.

Es spricht nichts dagegen, die Sattelrobben in nachhaltiger Weise zu bejagen, wie wir es auch mit unserem Wild tun. Doch die jetzige Hatz ohne Mitleid und Maß hat damit nichts zu tun. Und überhaupt: Muss eine Tierart eigentlich immer erst vom Aussterben bedroht sein, damit man sie in Ruhe lässt?

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