Komik in der Schwebe

Die Rätsel der geglückten Sätze: Bruno Steigers luxuriöser, explizit intertextueller Roman „Erhöhter Blauanteil“

Ein luxuriöses Gebilde ist dieser Roman. Das ist kein Wunder bei einem Autor, der keine Bestseller schreibt, aber stets mit hochkarätigen Vokabeln bedacht wird – schlimmstenfalls wirft man ihm Hermetik vor und Verstiegenheit. Auch der neue Roman des Schweizers Bruno Steiger, „Erhöhter Blauanteil“, ist ein in eleganten Schleifen auf sich selbst verweisendes Kunstwerk, zudem radikal und explizit intertextuell. Darin geschieht weiter nichts. Steindorf, Schriftsteller, zieht als Untermieter einer Frau Ambach mit dieser zusammen in eine neue Wohnung. Er versucht zu schreiben. Er liest. Manchmal trifft er Freunde, die ebenfalls Schriftsteller sind.

Zwar werden zwie- oder rotlichtige Verstrickungen der Ambach und/oder Steindorfs angedeutet, aber nichts spitzt sich zu oder löst sich gar auf. Der Erzähler, gleichfalls Schriftsteller, vollführt ein großartiges Antäuschen, Aufbauschen und Hochfahren von Verwicklungen. Damit foppt er den Leser, wirft ihn zugleich zurück auf ein wohl wahreres Bild von „Realität“, von „Leben“, das doch weder Dramaturgie kennt noch Teleologie.

Die großen Gesten und Gefühle sind zwar da, aber verbunden mit absurd Nebensächlichem. „Mit mehr oder weniger tonloser Stimme“ weist Frau Ambach Steindorf darauf hin, dass sie keinen blassen Dunst habe, was ein Weberknecht sei. Bei einem Gedanken zum Thema Humor geschieht es Steindorf, dass er „wie betäubt die Augen niederschlug“. Statt unerhörter Begebenheit und umwälzenden Gefühls bekommt der Leser: Witz, Ironie. Eine Komik, die aus ebendiesem Kontrast zwischen sprachlichem Aufwand und nichtigem Gegenstand erwächst, die übermütig ist und zugleich streng formvollendet. So wird aus Banalität Absurdität. Es bleibt ferner: das Schreiben, das Lesen. Letzteres Bedingung und Anregung des Ersteren, beides mit dem Leben verbunden zum Traum des „nie zu schreibenden, immer nur zu lebenden Roman[s] des lesenden Menschen“. Es gibt aber auch lange Gespräche über die ernsten Gefahren beim Schreiben – Übermut und Scham –, wogegen es die Nerven zu behalten gelte.

Im Zentrum nicht nur von Steigers, auch von Steindorfs Bemühungen steht jedoch die Komik. Er denkt pausenlos nach über den Humor bei Handke (!), dem er in einer „semifiktionalen Studie“ beizukommen gedenkt. Handkes „Chinese des Schmerzes“, dieser Schwebe- und Schwellenroman, ist ihm exemplarisch für das „Rätsel der nicht nur jeden geglückten literarischen Satz, sondern die ganze Welt unmerklich in der Schwebe haltenden Komik“. Die Sehnsucht nach der Alleinheit von Leben und Kunst, von Humor und Ernst ist eine romantische – sie trägt die Farbe blau –, wie das literarische Verfahren der vielfachen Spiegelungen und Brechungen, der hochgradigen Bewusstheit dasjenige der romantischen Ironie ist. So schließen sich mehrere Kreise, wenn am Ende ein oft gelesenes Exemplar des „Chinesen des Schmerzes“ nicht vergilbt, sondern blaustichig wird und daraufhin per Post an seine eigene Hauptfigur, Loser, geht. Am Ende ist alles in allem aufgehoben.

Dass solch subtile Volten nicht mehrheitsfähig sind, gesteht Steiger schon in der Widmung ein. Sie lautet „Für die, die es geben muss“. Es gibt sie, ruft man und fühlt sich geadelt – und reicher um etwas Wertvolles.

MAJA RETTIG

Bruno Steiger: „Erhöhter Blauanteil“. Nagel & Kimche, Zürich 2004. 127 Seiten, 14,90 €