Ganz viel neu macht der Mai

Erstmals seit Jahren wird es am 1. Mai eine gemeinsame Revolutionäre Demonstration geben. Diese soll am Potsdamer Platz beginnen, ist erkennbar politisch und will Sozialkahlschlag kritisieren

VON FELIX LEE

17 Jahre ist es nun her. Damals, es war im Jahre 1987, kam es im Anschluss an einem Kiezfest in Kreuzberg zur Straßenschlacht. Irgendwann am späten Abend musste die Polizei abrücken; sie fühlte sich der Randale nicht gewachsen. Und irgendwann in der Nacht brannte der Bolle-Supermarkt. Der Revolutionäre 1. Mai war geboren.

Straßenfeste zur Mittagszeit, revolutionäre Demos am Nachmittag und Straßenschlachten am Abend – längst folgt der 1. Mai in Kreuzberg jedes Jahr einem immer wiederkehrendem Ritual. Aber nicht nur am Tag selbst, sondern auch schon Monate vorher. Wer mit wem und wer nicht zusammen demonstrieren darf, um welche Uhrzeit an welchem Ort mit welchem Aufruf – weder eine knallharte Polizeistrategie, sämtliche Demos in Kreuzberg zu verbieten, noch gut gemeinte Ansätze eines FU-Professors, den 1. Mai wieder stärker mit politischen Inhalten zu füllen und das gesamte südöstliche Kreuzberg zu einer polizeifreien, aber auch gewaltfreien Zone zu erklären, führte unter den vielen linken Splittergruppen in der Stadt zu einem gemeinsamen Tag der Arbeit. Der 1. Mai blieb in Kreuzberg ein diffuser Jahrmarkt für selbst ernannte Revolutionäre.

Doch dieses Jahr ist es wesentlich stiller. Die Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Cornelia Reinauer (PDS), knüpft an ihre Idee vom vorigen Jahr an und organisiert mit Gewerbetreibenden auf der Oranienstraße ihr „Myfest“.

Innensenator Ehrhart Körting (SPD) hält am Deeskalationskonzept der Polizei fest – massiv präsent zu sein, alle Veranstaltungen zu gewähren, bei Straftaten aber gezielt einzugreifen. Und bei den Veranstaltern der Revolutionären Demonstration selbst herrscht eitel Sonnenschein.

Ignoriert man mal die 13-Uhr-Demonstration der maoistischen Organisatoren, die schon in den letzten zehn Jahren vom Oranienplatz aus so kompromisslos wie immer ihre Demo mit Gebrüll durchführten, dann wird es dieses Mal nicht drei Demos geben wie im letzten Jahr, nein, auf eine gemeinsame Demo haben sich die Beteiligten geeinigt. Und die soll um 16 Uhr am Potsdamer Platz beginnen, zum Außenministerium führen und von dort aus weiter nach Kreuzberg ziehen.

„Dies ist ein Novum“, sagt Michael Kronewetter von der Antifaschistischen Linken Berlin (ALB). Seine Gruppe gehört zum Hauptinitiator der Revolutionären 1.-Mai-Demonstration. Früher besser bekannt als Antifaschistische Aktion Berlin, ist sie nach ihrer Spaltung vor einem Jahr mit drei anderen linken Gruppen das Bündnis mit dem Namen ACT eingegangen und sie erfreut sich auch über dieses Bündnis hinaus in der linken Szene wachsender Beliebtheit.

Die andere abgespaltene Hälfte „Kritik & Praxis“, die im letzten Jahr noch ihre eigene Revolutionäre 1.-Mai-Demonstration in Mitte auf die Beine stellte, verzichtet dieses Jahr auf eine Konkurrenzveranstaltung und ruft stattdessen am Tag zuvor zu einer Demo auf. Ihr Motto: „Für Kommunismus statt Europa“.

Und noch ein Novum ist zu erkennen, das ohne lange Auseinandersetzungen von allen vorbereitenden Gruppen angenommen wurde: die Einigung auf ein gemeinsames Thema. Womit sich die Linksradikalen lange schwer getan haben – nämlich die soziale Frage auf ihre Agenda zu setzen –, diese Hürde scheinen sie zu überwinden. Zwar sprechen die einen von „Sozialkahlschlag“, die anderen von „sozialem Widerstand“ – erstmals seit langem ist der Revolutionäre 1. Mai aber wieder erkennbar politisch besetzt, zieht gar Verknüpfungen zur großen Demonstration am 3. April, als in Berlin vor allem „reformistische Gewerkschafter“, wie sie von den Autonomen bisher abwertend bezeichnet wurden, gegen Sozialabbau auf die Straße zogen.

Nur in einem Punkt wollen sich die Linksradikalen treu bleiben. In ihrer Protestform. Daran wird sich auch am 1. Mai 2004 nichts ändern, versichert eine der Organisatorin.