Vor dem letzten Kraftakt

Am Sonntag will Ronny Weller bei der EM wieder so viel Eisen wie möglich stemmen. Doch das ist nur Aufwärmen für Athen, wo der 34-Jährige seine fünfte Olympia-Medaille gewinnen möchte

VON TOBIAS SCHÄCHTER

Frank Mantek gibt sich keinerlei Illusionen hin. „So einen wie den Ronny gibt es nie wieder“, sagt der Bundestrainer der deutschen Gewichtheber und fügt bestimmt hinzu: „Der ist einmalig.“ Manteks Einschätzung lässt sich leicht belegen: Viermal war Ronny Weller „stärkster Mann der Welt“, dreimal „stärkster Mann Europas“, 1992 Olympiasieger zudem. Insgesamt ist der 34-Jährige mit 46 internationalen Medaillen dekoriert, wofür er vom Verband kurzerhand zum „Gewichtheber des Jahrhunderts“ erklärt wurde. Nun, im Jahr von Olympia, steht der Ausnahmeathlet vor seinem letzten Kraftakt, der einer für die Ewigkeit werden soll, bevor sein Abgang im deutschen Gewichtheben eine Lücke hinterlässt, so groß wie ein Krater nach einem Meteoriteneinschlag. „Über hundert Medaillen wie im letzten Jahrzehnt werden es ohne Ronny für unseren Verband im neuen bestimmt nicht mehr“, unkt bereits Bundestrainer Mantek.

Dieser Tage finden in Kiew die Europameisterschaften statt, und weil es das große Ziel des Ronny Weller ist, sich in Athen als erster Gewichtheber überhaupt für die fünfte olympische Medaille bei seiner fünften Olympia-Teilnahme feiern zu lassen, ist das Kräftemessen in der ukrainischen Hauptstadt nur die Zwischenstation auf Wellers Weg zum Ziel, eine EM zum Aufwärmen quasi. Dementsprechend locker gibt sich das Paradepferd der Muskelmänner: „Ick fahr da hin, bringe mene Leistung, un feddich.“

Weller, der seit 1993 in der Pfalz lebt, kann seine Herkunft aus dem Vogtland nicht verbergen. Elfmal die Woche trainiert der Hauptfeldwebel der Sportfördergruppe Bruchsal in den Hallen des Bundesleitungszentrums im nordbadischen Leimen unter der Leitung seines Vaters und Bundestrainer Manteks. Es riecht nach Schweiß und Magnesium, Menschen mit mächtigem Brustkorb und ohne Hals stemmen Gewichte, immer und immer wieder. „Man muss sich das Training wie einen Hausbau vorstellen“, erklärt Weller: „Erst wird das Fundament gelegt. Darauf wird dann aufgebaut.“ Zweieinhalb Stunden dauert eine Einheit.

In Kiew will Weller 245 Kilo stoßen und 200 Kilo reißen. Seine Bestleistungen liegen bei 260 und 210 Kilo. „Ich will mich wieder zeigen“, sagt Weller, zuletzt war das nicht so oft der Fall. Seit zwei Jahren setzen dem 150-Kilo-Koloss Verletzungen zu. Bei der letzten WM in Vancouver zwickte es nach dem Aufwärmen in der Schulter, heulend lag der Adonis in der Hallenecke. Aber Wellers große Stärke ist die Fähigkeit, nach Niederlagen wieder gestärkt aufzustehen.

Denn kleine Krisen und schwere Schicksalsschläge gab es durchaus, auch in dieser von Erfolgen gepflasterten Karriere. Anfang der 90er wäre gar alles fast zu Ende gewesen: Nach einem Autounfall, bei dem seine damalige Freundin starb, musste Weller lange ums eigene Leben kämpfen. Knapp zwei Jahre später zierte in Barcelona olympisches Gold die Brust des Muskelmannes.

„Da muss man durch.“ Diesen Satz sagt Ronny Weller immer wieder. Pragmatisch verdrängen und immer weitermachen, auch wenn die Dinge schlecht stehen: Es ist ein scheinbar einfaches Motto – aber dem Gewichtheber und Menschen Ronny Weller hat es immer wieder den Weg gewiesen, nicht unterzugehen. Sein Ehrgeiz und sein Egoismus haben ihn zu einem Einzelsportler gemacht, der alles gewonnen hat und noch immer alles gewinnen will. „Klar, ich will eine Medaille in Athen“, sagt Weller folgerichtig. Es klingt sehr entschlossen.

Mit 13 Jahren entschied sich der kräftige Knabe auf Drängen des Vaters fürs Gewichtheben – und gegen den Fußball. Die Entscheidung für den Sport, bei dem man wie eine Jahrmarktsensation auf einer Bretterbühne stehend so viel Stahl wie möglich in die Höhe stemmen muss, war nicht etwa heißer Leidenschaft geschuldet, sondern eher kühler Überlegung. „Die Aussicht auf Erfolge schien im Gewichtheben größer“, erinnert sich der ehemalige Spartakiadesieger. Und das Gänsehaut-Gefühl beim Aufstieg aufs Treppchen überstrahlte die vielen einsamen Stunden mit der Hantel. „Zu gewinnen“, sagt der oft einsilbige Ronny Weller, „det is et“. Um sich in den olympischen Geschichtsbüchern verewigen zu können, verlangt die Gegenwart von Weller in Athen vielleicht mehr als seine Bestleistung im Zweikampf von 467,5 Kilogramm.

Privat hat er sein Glück gefunden. Weller lebt mit Frau Manuela in der Nähe von Speyer, durch kleine Sponsorenverträge pflegt er einen bescheidenen Wohlstand. Über das Leben nach dem Sport macht er sich „noch keenen Kopp“, auch wenn 2006 nach 15 Jahren sein Dasein als Berufssoldat endet. „Erst kommt Athen“, sagt Weller, sein letzter Kraftakt. Zumal die Zukunft dem Schwergewicht schon jetzt jeden Abend ins Gesicht strahlt: Seit fünf Monaten trägt einer der stärksten Männer der Welt ein Töchterchen ins Bettchen. Die Zukunft, sie heißt Joalina-Marie und wiegt 5.450 Gramm. „Die ist so leicht“, sagt Ronny Weller und lächelt sanft.