berliner szenen Frühling, schwarzsauer

Das letzte Bier

Ganz Berlin träumt von der Liebe, nur eine männliche Dreiergruppe leistet dem Schlaf noch Widerstand. Ein, zwei Bier, bevor es wieder allein ins trostlose Zuhause geht.

Es ist Frühling, jetzt offiziell, die drei Männer brüten über ihren Gläsern – der eine ein Literaturfreund, der Zweite ein Musikjournalist, der Dritte ein Langzeitstudent. Während die schönste Barfrau der Welt lässig einen Betrunkenen vor die Tür setzt, der nur noch sinnloses Gebrabbel von sich gibt und gerade jetzt beginnt, mit einer Pfütze zu reden, diskutieren die drei eine immer unübersichtlicher werdende Weltlage. Terrorismus und Lohnnebenkosten. Die Frage, ob die PDS später zur Volksfront zu haben sei, schließlich ist mit der SPD nicht mehr zu rechnen. Die Bedienung spült, die Musik ist schrecklich, und draußen, auf der Kastanienallee, schwankt der Betrunkene von dannen. Ein paar Spatzen suchen den wackeligen Gehweg, den zahllose Zugezogene tagsüber als Laufsteg und Castingshow missbrauchen, nach Currywurstresten ab.

„Vielleicht sollte man hier eine Modesteuer einführen“, findet der Über-Musik-Schreiber. „Kastanienallee, so hat früher mal jemand einen Gedichtband genannt“, sagt der Literaturfreund. Der Student mag sich keinem Kulturpessimismus mehr anschließen und blickt zur Antwort nur trübe auf die weißen Muster, die sich auf dem T-Shirt der Bedienung bilden. In einer anderen Ecke entspinnt sich ein typisches Nick-Hornby-Gespräch: „Das erste Lieblingslied, an das ich mich erinnern kann, war der Babysitter Boogie.“ „Oh Mann, wie peinlich.“ „Am Kolli hätte das Stück aber wieder Hitpotenzial, ich sag’s dir.“ Es ist Frühling. Es ist fast halb sechs. Wer jetzt kein Bier hat, bekommt auch keins mehr.

RENÉ HAMANN