Süßer Mais wird zur bitteren Pille

Die Blockade gegen genmanipulierte Lebensmittel ist vorbei. Die Zulassung von BT-11-Mais ist der Anfang. Genfood soll Standard im Supermarkt werden

VON BERNHARD PÖTTER

Kurz vor Torschluss versuchte es Greenpeace noch einmal: Der umstrittene „Bt 11“-Mais sei grundsätzlich abzulehnen. „Die Pflanze enthält mehrere fehlerhafte Genabschnitte.“ Es könne nicht ausgeschlossen werden, zitierte die Umweltschutzorganisation französische Behörden, dass der Mais „unerwartete Effekte“ haben werde.

Doch einen wirklichen Aufschrei der Empörung gab es gestern von den Gegnern der grünen Gentechnik in Europa nicht. Dafür war die Haltung (oder im deutschen Fall: die Enthaltung) der EU-Agrarminister zu lange bekannt. Als die Minister sich zu ihrer Sitzung in Luxemburg trafen, war klar, dass es keine politische Mehrheit mehr gab, um die Zulassung des ersten genmanipulierten Produkts in der Europäischen Union seit fünf Jahren zu verhindern.

Der süße Mais wird zur bitteren Pille für die Umweltschützer. Mit dem Antrag des Schweizer Konzerns Syngenta auf Zulassung von „BT 11“-Mais als Lebensmittel in der EU endet eine fünfjährige Blockade für Anbau und Import von genmanipulierten Organismen. Syngenta hat in den Mais den „Bacillus Thuringensis“ eingeschleust, der die Pflanze gegen Schädlingsbefall schützt. Das Verfahren ist Standard bei der genetischen Manipulation von Pflanzen.

Und Genfood soll nun auch zum Standard auf den Äckern und in den Supermärkten werden. Laut EU-Kommission warten insgesamt neun Genlebensmittel auf eine Genehmigung: siebenmal Mais, einmal Zuckerrüben, einmal Sojabohnen. Das deutsche Landwirtschaftsministerium rechnet intern damit, dass es in diesem Jahr „20 bis 30 Anträge“ auf Zulassung geben wird. Ebenso fest rechnet man im Ministerium der grünen Ministerin Renate Künast mit Genehmigungen durch die EU.

Das war lange ganz anders. Seit 1998 herrschte in der EU ein „De-facto-Moratorium“ für die Zulassung und Aussaat von gentechnisch veränderten Pflanzen zu kommerziellen Zwecken. Da die BSE-Krise wütete und das Vertrauen der Konsumenten in die Landwirtschaft ohnehin gering war, legten die Agrarminister diese neue Technik erst einmal auf Eis. Alle Anträge der Kommission auf Zulassung von Gentech wurden abgelehnt. Abgesehen von den wenigen Genprodukten, die vor 1998 genehmigt wurden, und abgesehen von den undeklarierten Futtermitteln blieb Europa gentechfrei. Die Weigerung, Gentech auf den Kontinent zu lassen, brachte der EU 2003 auch eine Klage der USA vor der Welthandelsorganisation WTO ein. Vorwurf: Protektionismus.

Doch Brüssel blieb nicht untätig. Die Komission erarbeitete zusammen mit den Staaten und dem Parlament einen Rahmen für das Gentech-Zeitalter auch in Europa. Das Regelwerk aus Freisetzungsrichtlinie, Verordnung über die Kennzeichnung und die Rückverfolgbarkeit von Genfood und Genfutter regelt Fragen wie Zulassung, Überprüfung, Haftung oder die Praxis der Landwirte. Seit dieses Regelwerk steht und seit die politischen Mehrheiten in den EU-Staaten sich für die Konservativen verschoben haben, war die Genblockade nicht mehr zu halten. Die „Notbremse“ können die Mitgliedsstaaten immer noch ziehen und bei begründetem Verdacht auf Schäden für die Gesundheit oder Umwelt eine nationale Zulassung verweigern. Eine solche Verweigerung aber, heißt es aus dem Künast-Ministerium, muss sehr gut begründet sein, „sonst droht ein Vertragsverletzungsverfahren“. Und gerichtsfeste Beweise für solche Gefahren gibt es auch nach sechs Jahren Moratorium nicht. Die Entscheidung liegt jetzt bei den Verbrauchern: Die Gen-Lebensmittel kommen gekennzeichnet auf den Markt.

Jens Katzek, Geschäftsführer der BIO Mitteldeutschland und einer der umtriebigsten Pro-Gen-Aktivisten, freut sich, dass es nun „endlich echte Wahlfreiheit“ gibt. Wenn gentechnisch veränderte Produkte auf den Markt kommen, „können die Menschen praktische Erfahrungen damit sammeln, und wir lassen diese ganze theoretische Diskussion hinter uns“, sagte Katzek der taz.

Für Konrad Ott, Professor für Umweltethik an der Uni Greifswald und zuständig für Gentechnik im „Sachverständigenrat für Umweltfragen“ der Bundesregierung, ist das EU-Regelwerk zur Gentechnik zumindest ein deutlicher Fortschritt zu den Bestimmungen von 1998. Es fehle allerdings „die Definition, was bei gentechnischen Freisetzungen überhaupt als Schaden an der Umwelt gilt“ und ab welchem Schaden ein gentechnisches Experiment abgebrochen werde. Insgesamt sei nicht abzuschätzen, welches Risiko die Gentechnik berge. „Bei der Atomtechnik war das anders. Da wussten wir, dass die Schäden riesig werden würden und dass die Wahrscheinlichkeit eins zu zehntausend war.“ Dieses Risiko realisierte sich in Tschernobyl am 26. April 1986. Genau 18 Jahre vor der gestrigen Sitzung der Agrarminister in Luxemburg.