Wunder der Mutterschaft

Allegorische Komödie mit melodramatischem Unterfutter: In „Skagerrak“ leuchtet der dänische Regisseur Søren Kragh-Jacobsen das moralische Dilemma einer Leihmutter aus – mit starker Neigung zur konservativen Weltanschauung

VON CLAUDIA LENSSEN

Als „Dogma“ Ende der Neunzigerjahre zum Markenzeichen für die nervösen Melos aus dem Freundeskreis um Lars von Trier avancierte, brachte es der dänische Fernsehautor und -regisseur Søren Kragh-Jacobsen mit seinem Film „Mifune“ ins Berlinale-Programm und ins Kino. „Mifune“ war einer von den Filmen, die wie Augenzeugen in die Psychopathologie des Alltagslebens einsteigen. Dass die Beiläufigkeit als allegorisches Märchen gemeint war, erschloss sich nicht aus dem Film, man musste es nachlesen. Nun hat der Regisseur den zweiten Teil einer Trilogie folgen lassen, in der er sich vom Dogma-Stil entfernt, um seine konservative Philosophie umso deutlicher in den Vordergrund zu rücken.

„Mifune“ handelt von einem Städter, der unfreiwillig zu seinem schwachsinnigen Bruder aufs Land zurückkehrt. Eine junge Frau tritt in die bizarre Lebensgemeinschaft. Sie löst sich von ihrer Vergangenheit als großstädtische Sexarbeiterin und kann dem naturnahen Leben etwas abgewinnen. Die Augenblicksfixiertheit der Dogma-Ästhetik sollte – das stellte die Strenge ihrer Verfechter klar – ein unverbrauchtes Vehikel für moralische Traktate sein. Hinter dem kameratechnischen Hyperventilations-Effekt und dem Autoren-Powerplay verbarg sich eine hysterische Suche nach Sühne und Erlösung: der skandinavische Carl-Dreyer- und Strindberg-Ernst in Zeiten globaler Konfusion und transzendentaler Obdachlosigkeit.

„Skagerrak“ schließt nicht nur wegen der Hauptdarstellerin Iben Hjejle an „Mifune“ an. Wieder ist es eine Geschichte aus einem übersichtlichen Milieu, in der die Exzentrik moderner Lebensformen scharfe Kontur gewinnt, wieder die Geschichte einer spröden Abenteurerin, die in der Krise ihre Stärke findet. Und es bleibt in Kragh-Jacobsens wie in den Filmen Lars von Triers bei der Obsession, Frauen als Heilige und Huren wahrzunehmen. Beide Regisseure zelebrieren dieses Phantasma und benutzen es als Katalysator für ihre Ideendramen. Kragh-Jacobsen hat dafür nun die melodramatisch getönte, allegorische Komödie entdeckt. Das Spiel mit der exzentrischen Nebenfigur aus „Mifune“ ist in „Skagerrak“ Sache eines spleenigen Trios, das ins Schicksal eingreift und die Fabel überraschend zum Guten lenkt. Was wie im Timing überzogene Kabarettnummern wirkt, versteht Kragh-Jacobsen als Hommage an Shakespeare’sche Narren oder an Schneewittchens Helfer: Drei verschuldete Automechaniker, auf der einen Seite anarchistische Tölpel und doch Giftzwerge mit gutem Herzen, wollen zuerst an das Geld der Heldin heran, mausern sich dann jedoch zu deren Beschützern.

„Skagerrak“ schildert ein weibliches Stationendrama. Marie (Iben Hjejle) strandet mit ihrer Busenfreundin Sophie (Bronagh Gallagher) im schottischen Fischernest Peterhead. Mal alberne Gören mit reichlich Fuselkonsum, mal verkatert in der pittoresken Schäbigkeit ihrer Bude, genügen sich die beiden selbst und hängen aneinander wie Zwillinge – sind gut drauf für Abenteuer mit den Männern von den Ölbohrinseln und denen am Hafen.

Erst als sie betrogen und bestohlen werden, als die aufgedrehte Spaßnudel Sophie bei einem Autounfall stirbt, beginnt die zweite Phase des verspäteten Erwachsenwerdens. Marie geht auf den Vorschlag eines schottischen Landedelmanns ein, mit dessen Sohn endlich einen Nachkommen für das alte Geschlecht in die Welt zu setzen – gegen 40.000 Pfund Honorar.

Der Rest ist durch alle emotionalen Tiefen hindurch ein unvermeidlicher Weg zum Happy Ending. Maries Einsamkeit, ihr Dauersuff und die ins Auge gefasste späte Abtreibung zwingen ihre Beschützer zu unkonventionellen Maßnahmen, wie nur hemmungslos romantische Drehbuchschreiber sie sich ausdenken können. Missverständnisse, Verwechslungen, Unfälle – alles endlos retardierende Kunstgriffe, um am Ende alle Parteien am Kreißbett in der Autowerkstatt zusammenzuführen. Warum der schottische Landadel dabei plötzlich das Interesse an dem Deal verliert, sei hier nicht verraten. Nur so viel: Einen liebenden sozialen Vater für das Kind gibt es auch, leider ein Typ mit der Aura von Barbies Ken (Martin Henderson).

Ein Märchen wie „Skagerrak“ – übrigens der Name einer Kneipe, in der sich die Lebenswege kreuzen – erzählt ohne die typischen Dogma-Ticks. Sein Look und Sound, in Digital Scope gedreht (Kamera: Eric Kress) und mit Filmmusik ausstaffiert, wirken deutlich inszeniert, trotz der überspannten Improvisation der Schauspieler. Ein neues Thema, wie es die Nöte einer Leihmutter sein könnten, kommt in alten Schemata daher.