Reformer erneut zum Tode verurteilt

Ein iranisches Gericht bestätigt das Todesurteil gegen Universitätsprofessor Haschem Aghadschari. Dieser hatte die islamische Geistlichkeit scharf angegriffen. Präsident Mohammed Chatami bezeichnet Urteil als eine Missachtung des geltenden Rechts

VON BAHMAN NIRUMAND

Ein iranisches Gericht der westlichen Provinzstadt Hamadan hat das Todesurteil gegen den Reformer Haschem Aghadschari bestätigt. Das führende Mitglied der an der Regierung beteiligten „Organisation der Modjahedin der islamischen Revolution“ und Professor an der Hochschule für Lehrerausbildung war im November 2002 von einem islamischen Gericht zum Tode verurteilt worden.

Grund für das harte Urteil war eine Rede Aghadscharis über den „islamischen Protestantismus“. Bei dieser Rede vor Studenten stellte er die islamische Geistlichkeit an den Pranger. Heute, sagte er, gehe es nicht allein um den Protest gegen den traditionellen Islam, sondern gegen einen Islam, der im Besitz der politischen Macht sei. Diese Macht zeige weit mehr als der traditionelle Islam die Bereitschaft, die Rechte der Individuen zu missachten. Die herrschende Geistlichkeit habe nicht nur Gott und den Glauben, sondern auch die weltliche Macht monopolisiert.

Damit erlaube sie sich jede Willkür, lasse Kritiker und Gegner foltern, zu falschen Geständnissen zwingen, hinrichten oder durch Anschläge ermorden. Dies sei mit der Substanz des Islam unvereinbar. Daher müsse sich der „islamische Protestantismus“ vor allem für die Durchsetzung der Menschenrechte und humaner Grundsätze einsetzen.

Wie erwartet rief die Rede die Islamisten auf den Plan. Die konservative Presse wütete, in zahlreichen Städten wurden Protestdemonstrationen organisiert, bei denen Aghadscharis Hinrichtung verlangt wurde. Diesem Verlangen folgte die Justiz. Aghadschari wurde zum Tode, zu acht Jahren Haft, zehn Jahren Lehrverbot und 74 Peitschenschlägen verurteilt!

Das Urteil löste bei den Reformern, die die Regierung und die Mehrheit im Parlament stellten, Empörung aus. Es kam zu landesweiten Studentenprotesten. Um eine Eskalation zu vermeiden, ordnete Revolutionsführer Ali Chamenei eine Überprüfung des Urteils an. „Der zuständige Richter hat das Urteil geprüft und es bestätigt“, teilte der Justizchef der Provinz Hamadan, Zakarollah Ahmadi gestern mit. Die letzte Entscheidung liege nun beim obersten Gericht in Teheran.

Staatspräsident Mohammad Chatami reagierte ungewöhnlich offen und scharf auf das Urteil. In einem „Offenen Brief an das iranische Volk“ schreibt er: „Es ist eine Qual, mitzuerleben, wie es heute immer noch möglich ist, dass ein hochrangiger Wissenschaftler, der dazu für die Revolution so viel Opfer gebracht hat, von einem unerfahrenen Richter, unter Missachtung des geltenden Rechts durch einen Federstrich zum Tode verurteilt wird.“ Es sei aber zugleich eine Errungenschaft, dass „dieses Urteil, bis auf wenige Personen, von niemanden in den religiösen und akademischen Kreisen, auch nicht von den Verantwortlichen des Staates akzeptiert wird“. Dazu meinte Justizchef Ahmadi, es seien genau solche Unterstützer gewesen, die die säkularen Kräfte ermuntert hätten, sich solche Dreistigkeiten gegen den Islam zu erlauben.

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