Einfach nur teuer

Der Markt mit Aloe-Vera-Produkten boomt. Zahlreiche Mittelchen enthalten jedoch viel zu wenig Wirksubstanz

Aloe Vera, so heißt das Zauberwort der Supermärkte, Drogerien und Reformhäuser. Joghurt, Cremes, Fitnessdrinks, ja sogar Matratzen, T-Shirts und Geschirrspülmittel sollen Bestandteile der robusten Wüstenlilie enthalten, wenn man den Verpackungsaufdrucken Glauben schenkt. Und, so die Werbeslogans, wer davon isst, trinkt, damit abwäscht, darauf schläft oder mit Aloefasern gewobene T-Shirts trägt, wird schön und gesund. Denn Aloe Vera soll die Haut pflegen, Wunden heilen, die Immunabwehr stärken, den Darm anregen und sogar Krebs vorbeugen.

Doch ein Wundermittel ist Aloe Vera nicht, wirksam aber schon. Das musste Kaiser Otto der Zweite schon im 10. Jahrhundert leidvoll erfahren, als er mit sechzehn Gramm Aloe vergiftet wurde und schließlich an heftigen Darmblutungen starb. Die hatte das Aloin ausgelöst. Der bittere gelbe Saft aus der Außenhaut der prallen Aloeblätter regt die Darmtätigkeit an. In entsprechend niedriger Dosis wirkt er bei Verstopfung abführend. Deshalb setzt die Hamburger Heilpraktikerin Sabine Diebold ihn bei der Behandlung ein.

Mit dem durchsichtigen Gel aus dem Blattinneren macht sie Gesichtsmasken. Die darin enthaltene Kieselsäure entspannt und erfrischt die Haut. „Bei pubertierenden Jugendlichen mit starker Akne habe ich nach zehn Tagen homöopathischer Behandlung schon eine deutliche Verbesserung erlebt“, so die Heilpraktikerin. Auf Wunden, Verbrennungen und Herpesblasen aufgetragen, wirkt das Gel abschwellend, kühlend und Schmerz lindernd. Frisches Gel liefert Diebold die Aloepflanze in ihrer Praxis. Drei Jahre brauchen die Blätter, um die glibbrige Schmiere zu entwickeln. Zwar haben schon die alten Ägypter vor viertausend Jahren Aloe als Hausmittel eingesetzt, doch im streng medizinischen Sinne gilt sie nicht als Arznei. Denn bislang ist nicht erforscht, in welcher Dosis sie gut tut, und ab wann sie dem Organismus schadet.

Thomas Eschenhagen, Direktor des Instituts für Pharmakologie an der Uniklinik Hamburg Eppendorf, rät von einer regelmäßigen Einnahme von Aloe zum Beispiel in Form von Saft ab. Denn die Konzentration von Bitterstoff und anderen Wirkstoffen variiert je nach Produkt. „Das wäre dann so, als ob Sie von Ihrem Diabetismedikament, von Ihrem Herzmedikament heute eine, morgen drei Tabletten zu sich nehmen, ohne es zu wissen, und das geht natürlich nicht“, erklärt der Pharmakologe.

Aus den frei verkäuflichen Säften, Gelen und Joghurts sollte zwar das darmanregende Aloin herausgefiltert sein, doch dafür gibt es keine Gewähr. Auch dann nicht, wenn das Siegel vom „International Aloe Science Council“ auf einigen Verpackungen Reinheit verspricht, weiß Silke Schwartau, Ernährungsberaterin der Hamburger Verbraucherzentrale. „Dieses Siegel haben sich die Hersteller selbst gegeben. Es ist nicht staatlich kontrolliert. Es ist auch nicht klar, wie die Kriterien sind.“

Obwohl die Herstellerfirmen keine Heilungsversprechen abgeben dürfen, werben einige mit dubiosen Aussagen wie: Stärkt die Immunabwehr, macht Gelenke wieder gängig, schützt gegen Krebs. „Ich sag mal: Viel Wind und wenig dahinter, aber ein gutes Geschäft für die Anbieter“, so Schwartau.

Tatsächlich geht aus einer italienischen Studie hervor, dass Aloeextrakte das Fortschreiten von Tumorerkrankungen verringern können. Doch mit den Produkten auf dem Markt habe dies nichts zu tun, erklärt der Pharmakologe Thomas Eschenhagen, denn „das sind bisher nur ganz wenige Patienten gewesen. Und schließlich sind diese Studien mit kontrollierten Zubereitungen aus den Pflanzen gemacht worden. Da wussten die Forscher genau über die Dosis und Zusammensetzung der wirksamen Substanzen Bescheid.“

Auf dem freien Markt steht auf einigen Produkten zwar groß Aloe drauf, aber es steckt so wenig drin, dass es weder schadet noch nützt, sondern einfach nur teuer ist. Ein Blick auf die Zutatenliste in der Produktbeschreibung bringt Aufschluss, erklärt Verbraucherschützerin Silke Schwartau. „Steht Aloe ganz oben auf der Zutatenliste, dann kann man auch davon ausgehen, dass auch viel Aloe Vera enthalten ist. Steht allerdings Aloe Vera ganz unten, bei den Konservierungsstoffen und den Parfüms, dann hat die Creme den Namen nicht verdient.“ KATRIN JÄGER