„Ein Jan Ullrich wäre zu früh gekommen“

Gespräch mit Hans-Michael Holczer (50), Chef und Gründer des Radsportteams Gerolsteiner, über die anstehende Saison der großen Rundfahrten und das Verhältnis zum scheinbar übermächtigen Konkurrenten T-Mobile

Das Team Gerolsteiner war in der Saison der Frühjahrsklassiker so erfolgreich wie nie. Davide Rebellin gewann drei bedeutende Rennen innerhalb einer Woche, er führt nach fünf von zehn Episoden in der Weltcup-Wertung, wodurch sein Team sich endgültig in der Phalanx der großen Radsportmannschaften etablieren konnte. Nun reiste Gerolsteiner als einzige deutsche Equipe zum Giro d’Italia. Die Italien-Rundfahrt beginnt heute mit dem Prolog in Genua und endet am 30. Mai in Mailand. Neben dem Gesamtsieg, der sich auf den schweren Alpenetappen der letzten Woche entscheiden dürfte, gilt das Hauptaugenmerk dem Duell der beiden Sprinter Alessandro Petacchi und Mario Cipollini. Die Ambitionen des Teams Gerolsteiner richten sich laut Chef Michael Holczer darauf, um Etappensiege mitzufahren, eventuell am rosa Trikot zu schnuppern und einen guten Gesamteindruck zu hinterlassen.

taz: Herr Holczer, die Zeit der Frühjahrsklassiker geht zu Ende, hätten Sie diese bislang erfolgreichsten Wochen in der Geschichte ihrer Mannschaft gerne etwas verlängert?

Hans-Michael Holczer: Eigentlich überhaupt nicht. Wir sind ja im Prinzip gar keine Frühjahrsmannschaft. Ich sehe unsere Stärken eher zur Mitte und gegen Ende des Jahres. Ich bin sehr angenehm überrascht, wie dieses Frühjahr für uns verlaufen ist, das hätte ich so nicht erwartet.

Also darf man auch beim Giro d’Italia mit einer Fortsetzung der Gerolsteiner-Siegesserie rechen?

Davide Rebellin wird versuchen, in der ersten Hälfte seine Form einzubringen. Er wird gucken, dass er da in die Nähe des rosa Trikots kommt und versuchen, eine Etappe zu gewinnen. Das ist angesichts seiner derzeitigen Form sicher nicht verwegen.

Kapitän ist aber ein anderer.

Sven Montgomery ist unser Mann fürs Gesamtklassement. Er wird zeigen müssen, ob er die Ansprüche, die er an sich selber stellt und die auch wir an ihn stellen, erfüllen kann. Er hat sich einen Platz unter den ersten zehn als Ziel gesetzt. Außerdem haben wir unsere Sprinter Olaf Pollack und Robert Förster. Und Nachwuchsmann Fabian Wegmann soll auf seinem Weg nach oben einmal eine dreiwöchige Rundfahrt durchfahren.

Im vergangenen Jahr war Georg Totschnig Fünfter beim Giro und der einzige Fahrer überhaupt, der Giro und Tour durchgefahren ist. Warum planen Sie in dieser Saison anders?

Georg hat gesagt, er will versuchen, bei der Tour unter die ersten zehn zu fahren. Dazu muss er ausgeruht sein. Das ist nachvollziehbar. Dasselbe gilt für Danilo Hondo, der Sprintetappen bei der Tour gewinnen soll.

Das klingt, als genieße die Tour de France auch bei Ihnen absolute Priorität. Dabei gibt es bei Gerolsteiner viele Fahrer, wie Rebellin oder Michael Rich etwa, die sagen, dass das für sie überhaupt nicht gelte.

Es ist ein typisch deutsches Problem, die Tour so über alles andere zu heben. Es gibt genügend andere Radrennen, auch wenn die Tour das meistbeachtete ist. In vielen deutschen Medien hat man sicher einen Schlag, was diese Konzentration auf das eine Ereignis angeht. Ich habe tatsächlich einige Fahrer, die den Tour-Hype nicht nachvollziehen können.

Das heißt, Ihre Fahrer reißen sich gar nicht darum, einen Platz in der Tour-Mannschaft zu bekommen?

Es ist sicher so, dass jeder gerne die Tour fährt. Aber wir haben keine Leute im Team, die uns verlassen, wenn sie nicht zur Tour dürfen.

Sie haben sich im Frühjahr auf Augenhöhe mit T-Mobile bewegt. War das ein Meilenstein in der Entwicklung von Gerolsteiner?

Ja, die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit hat sich gewandelt. Man hat jetzt registriert, dass wir tatsächlich das Gleiche tun, was T-Mobile auch macht. Dass wir in der Lage sind, die zu schlagen und dem Rennen unsere Strategie aufzustempeln. Selbst dann, wenn T-Mobile unbedingt gewinnen will.

Fehlt nur noch der ganz große Rundfahrer, um tatsächlich zu T-Mobile aufzuschließen.

Telekom ist ein Kommunikationsriese und Gerolsteiner ein Mineralwasserhersteller, das sind etwas ungleiche Verhältnisse. T-Mobile ist das teuerste und das beste Team der Welt, wir sind einfach nicht in der Lage, denen auf allen Ebenen Paroli zu bieten. Das heißt: Die haben fünf Fahrer, die bei uns alle Kapitän wären, wenn es zur Tour de France geht. Dort sind die alle Helfer von Jan Ullrich. Da liegt ein gewaltiges Ungleichgewicht. Wenn wir einen Rundfahrer hätten, oder wenn wir bei der Tour das Ziel hätten, unter die ersten fünf zu fahren, dann müssten wir eine ganz andere Mannschaft aufbauen.

Sie haben also nicht überlegt, als im vergangenen Jahr Jan Ullrichs Verhältnisse ungeklärt waren und er sich ein Angebot gewiss angehört hätte?

Damit hätten wir uns auf ein Abenteuer eingelassen, das vielleicht mit einem Tour-de-France-Sieg geendet hätte, vielleicht aber auch schief gegangen wäre. Und dann wäre alles, was wir aufgebaut haben, zusammengerissen gewesen. Das wäre einfach zu früh gekommen, da hätten wir uns einen Anzug angezogen, der eine Nummer zu groß ist. Es gibt außer Telekom keine einzige Mannschaft auf dieser Welt, die es sich leisten kann, sowohl auf die Rundfahrten als auch auf die Klassiker zu setzen.

INTERVIEW: DANIEL THEWELEIT