Islamistische Investitionen

Loretta Napoleoni kritisiert die Beziehungen zwischen der „Neuen Ökonomie des Terrors“ und der Wirtschaft des Westens

Der 11. September war der effektivste Terrorangriff, der je stattgefunden hat. Lediglich 19 Flugzeugentführer und ein Budget von schätzungsweise 500.000 US-Dollar waren nötig, um nahezu 3.000 Menschen zu töten und den Westen zu verstören. Auf 135 Milliarden Dollar wird der angerichtete Schaden allein für die USA beziffert. Und: Wer wusste, was am 11. September geschehen wird, der konnte mit Insider- und Termingeschäften binnen kürzester Zeit ein Vermögen machen. Der weltweit agierende Unternehmer und Investor Bin Laden hat die Chance genutzt.

Wie unter einem Brennglas werden mit dem 11. September die ökonomischen Dimensionen des neuen Terrors deutlich sichtbar – wenn man sie denn analysiert und die ideologischen Etiketten des Geredes um den „Kampf der Kulturen“ zur Seite schiebt. Die italienische Wirtschaftswissenschaftlerin Loretta Napoleoni hat dies getan und eine faktenreiche Analyse des internationalen Terrorismus vorgelegt.

Der Befund Napoleonis ist beunruhigend. Auf 1,5 Billionen US-Dollar jährlich schätzt die Autorin das Volumen der „Ökonomie des Terrors“. Das ist das Doppelte des Bruttoinlandsprodukts von Großbritannien. Diese gut bestückte Kriegskasse steht den Warlords in Afghanistan, dem Kaukasus, dem Kosovo, radikal-islamistischen Gruppen in Pakistan, Zentralasien und Südostasien zur Verfügung und macht sie schon längst unabhängig von den Großmächten USA oder Russland.

Über Geldwäsche, legale Firmen bewaffneter Organisationen ist diese „Ökonomie“ inzwischen auch Teil der Wirtschaft westlicher Länder. Vor allem die USA eng sind mit der Terrorökonomie verwoben. Sie sind neben Europa Hauptabnehmer des wichtigsten Produkts der Terrorökonomie: Drogen. US-amerikanische Banken waschen die meisten Terrorgelder, die so in die reguläre Wirtschaft einfließen. Und die US-amerikanische Erdölindustrie konkurriert in instabilen Ländern wie den zentralasiatischen Staaten mit radikal-islamistischen Bewegungen um den Zugang zu den Ressourcen – und arbeitet manchmal mit ihnen zusammen.

Die „Ökonomie des Terrors“ ist eine Erfolgsgeschichte. Anhand zahlreicher Beispiele arbeitet Napoleoni heraus, wie sich aus den Rebellengruppen, die zur Zeit des Kalten Krieges in vielen Teilen der Welt von den Großmächten alimentiert wurden, nach 1989 wirtschaftlich autonome und international operierende Terrororganisationen entwickelten. Voraussetzung war der Verfall staatlicher Macht in Krisenregionen wie Zentral- und Südostasien, Teilen Afrikas, dem Kaukasus und dem Balkan.

Einen großen Anteil daran hatte die vor allem von Saudi-Arabien betriebene islamistische Kolonisation. Die Wahhabiten förderten seit den Achtzigerjahren systematisch den Aufbau radikal-islamistischer Gruppen und Bewegungen. Ein Prozess, der in der Etablierung mafiöser Schattenstaaten mündete. Die „New Economy of Terror“ hätte sich, so ist die Autorin überzeugt, während des kalten Krieges nicht entwickeln können. Seine Voraussetzung ist die Fragmentierung, die mit der Globalisierung einhergeht – also die Privatisierung, Deregulierung, Offenheit und der freie Verkehr von Arbeit und Kapital. Das Desinteresse des Westens, in diesen Ländern den Aufbau tragfähiger staatlicher Strukturen zu unterstützen, hat heute und in Zukunft einen hohen Preis.

Hauptantriebskraft der Neuen Ökonomie des Terrors ist für Napoleoni die zeitgenössische Form des Dschihad, wie ihn Bin Laden propagiert. Ein Gebräu aus revolutionärer islamistischer Ideologie, Identitätsangeboten und dem Versprechen radikaler sozioökonomischer Umwälzungen in muslimischen Staaten. Hauptgegner des islamistischen Terrors ist deshalb zunächst nicht der Westen, sondern sind die korrupten Oligarchien muslimischer Regierungen, die mit dem Westen kooperieren, die muslimischen Massen ausbeuten oder sich der Bildung rein islamistischer Staaten in den Weg stellen. Aktionsfelder dieses Dschihad-Gruppen waren deshalb vor den Angriffen auf den Westen Saudi-Arabien, Afghanistan, Pakistan, Zentralasien, der Kaukasus, Palästina und Indonesien.

Napoleonis Buch ist ein gewichtiges Argument gegen die populäre These, der Islamismus habe seinen Höhepunkt bereits überschritten. Wenn überhaupt, dann stimmt die These ohnehin allenfalls für Länder wie Algerien, die Türkei, Tunesien oder Ägypten. Folgt man allerdings Napoleonis Analyse der islamistischen Finanzkolonisation und der dahinter stehenden wirtschaftlichen Kräfte, dann hat der moderne Dschihad noch eine große Zukunft vor sich. Ungebrochen findet er in instabilen Ländern des Balkans oder Südostasiens Zulauf. Der Grund: Die Ökonomie des Terrors eröffnet Menschen die profitable Chance, Teil dieses Netzwerkes zu werden. Die Menschen profitieren vom Drogen-, Waffen- und Menschenhandel und deren Verquickung mit der regulären Ökonomie, über die sich dieser Terror nährt.

Diese materielle Nützlichkeit des radikal-islamistischen Terrors macht Bin Laden, der die Dschihad-Bewegung für die Öffentlichkeit verkörpert, für viele zur Ikone. Ob er zu einem neuen Che Guevara, Lenin oder Mussolini wird, ist noch offen. Auf jeden Fall verspricht auch er: die klassenlose Gesellschaft, die das selbstsüchtige Individuum liberaler Demokratien verbannt – und das Ende der Ausbeutung durch einen radikalen Umsturz des bestehenden sozioökonomischen Systems.

Der neue Terror ist in erster Linie nicht Folge des Aufeinanderprallens der Kulturen, sondern Teil des Aufeinanderprallens zweier Wirtschaftssysteme. Der Kampf gegen den globalen Terror wäre demnach vor allem an der Wirtschaftsfront auszutragen. In einem ersten Schritt fordert Napoleoni folglich die gegenseitige Abhängigkeit von Neuer Ökonomie des Terrors und westlicher Wirtschaft zu identifizieren, um sie zu beseitigen und damit den Zugang der Terroristen zu den freien Märkten zu unterbinden. Das ist leicht gesagt, aber schwer umzusetzen. Denn es gibt einfach zu viele Kapitalfraktionen, die vom Zusammenspiel beider Systeme profitieren. EBERHARD SEIDEL

Loretta Napoleoni: „Die Ökonomie des Terrors. Auf den Spuren der Dollars hinter dem Terrorismus“, Verlag Antje Kunstmann, München 2004, 448 Seiten, 24,90 Euro