bücher für randgruppen
: Zweite Ordnungen

Wenn eine Zeitschrift sehr dick ist, könnte man sie auch als Buch bezeichnen. So erging es der Zeitschrift für Alles/Timarit fyrir Allt von Dieter Roth, die es sich zur Aufgabe machte, jeden zugesandten Beitrag zu veröffentlichen, und wegen der Masse von Einsendungen schließlich mit der Nummer 10 als kiloschwerem Klotz kapitulierte. Wo die Zeitschrift für Alles aufhörte, da fängt das österreichisch-deutsche Werk monochrom an und stellt im Untertitel klar: Zweite Ordnung muss sein!

Nein, es gibt da zwar keine direkte Kontinuität, aber es ist wichtig und richtig, alles mal wieder neu zu ordnen. Irgendjemand muss doch damit beginnen, die überbordenden Gedanken, die in diversen Universen herumtaumeln, noch einmal zu sichten, zu sammeln, zusammenzufassen und zu sortieren. Natürlich unter Berücksichtigung, dass „jedes geschlossene System entweder in sich widersprüchlich, unvollständig oder unappetitlich ist“.

Irgendwo las ich, dass irgendeine Schulbehörde irgendwo in den USA die Evolutionstheorie von Darwin aus dem Stundenplan gestrichen hat – nun kann ich endlich erfahren, wer der Pionier der neuen Bewegung ist, die den christlichen Schöpfungsplan wieder etabliert. Das Interview „Und Gott schuf Darwin“ mit Tom Willis gibt Einblick in die Gedankenstrukturen eines Bekehrten. Das Magazin monochrom von Johannes Grenzfurthner und Frank Apunkt Schneider fesselt und fördert Neugier, macht staunen über Zeiten und Halbwertszeiten. Zum Beispiel das Kreuzworträtsel aus der Zeitschrift Riesige Rätsel mit riesiger Schrift mit der Karikatur eines Fallschirmspringers: Wie heißt der Liberale mit der Ambition zum freien Fall? Gestern noch lustig, heute schon geschmacklos. Wer kennt das Schriftstückvervielfältigungsgerät von Thomas Jefferson? Wer kennt das Comicheft der US-Streitkräfte für den Kampf in Südvietnam? Und wer aß schon einmal eine sprechende Wurst namens Bärbel, die jeden Donnerstag an der Frischtheke anschaffen geht? „It’s just a job Bärbel, just a job“, murmelt die daneben liegende Fleischwurst. Es gibt wenige, denen Bärbel, die Wurst, begegnet ist, und doch kennen wir sie alle, irgendwie. Niemand kennt dagegen Rudi Ross, den General Manager der völlig unbekannten Band Goofy, der Klarabella Records eine Mail sandte: „Wir sind Goofy, eine professionelle Crossover-Band mit Pop-Attitüde, brettharten, ohrwurmartigen Hooklines und suchen den perfekten Vertrieb mit guten Kontakten …“ Solche Mails zirkulieren zu hunderten im Mailkosmos herum, wandern gewöhnlich ungelesen in virtuelle Papierkörben. Doch hier, ganz überraschend, antwortet ein gewissenhafter, nein, fast schon fanatisch kommunikationsfreudiger Plattenchef und verwickelt Manager Rudi Ross in einen nicht enden wollenden Chat, pflückt dessen Worte auseinander wie ein altes, ranziges Blumengesteck. Es endet in wüstesten Beschimpfungen.

Aus dem Nichts tauchen Rezensionen auf, seitenlange, von guten Büchern, von nie zuvor besprochenen Büchern und von bekannten und unbekannten Katalogen, in denen wiederum Bücher angeboten werden. Es erklingt „Zukunftsmusik“, eine Broschüre der Versicherungskammer Bayern, gefolgt von einem Lexikon der Rezensionsfloskeln: „Ein XY der etwas anderen Art“ oder „bekannte Band“, bedeutet übersetzt: eigentlich unbekannt. Der bekannte Sänger Michael Jackson? Den Überblick zu behalten in dieser Welt, gibt es unzählige Möglichkeiten, Prinzipien und Systeme.

Eine davon hat sich ein Herr Peter Fritz ausgewählt: Er schuf 400 eigenständige Hausmodelle, das Werk seines Lebens, selbst gebastelt. Und hätte sie niemand aufgehoben, sie lägen wohl längst auf dem Müll. Irgendwo meckert plötzlich Klaus Kinski über das Layout: „Ich hätte eine Peitsche genommen!“ Na und! Schlag doch! WOLFGANG MÜLLER

Monochrom # 15-23, ca. 250 Seiten, 15 Euro, gsindl@monochrom.at