„Beleidigt und erniedrigt“

Der vertrauliche Bericht des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) hat in der Fassung, die der taz vorliegt, 24 Seiten, gegliedert in acht Kapitel und 63 Punkte. Das IKRK erstellte den Bericht mit Datum Februar 2004 für die amerikanisch-britischen Truppen im Irak (im Englischen „Coalition Forces“ genannt). Er basiert auf Einzelgesprächen von IKRK-Gesandten mit Gefangenen und Wärtern bzw. Offizieren in Gefängnissen im besetzten Irak zwischen März und November 2003. Der Bericht kommt zum Ergebnis, es gebe eine Reihe schwerer Verstöße gegen das Völkerrecht. (Übersetzung: Bernd Pickert, Patrik Schwarz)

3. Behandlung während der Befragung

24. Auf Verhaftungen folgte gewöhnlich die zeitweise Verwahrung auf der Ebene von Kampfgruppen oder in Einrichtungen zur ersten Vernehmung, die von Angehörigen des Militärgeheimdienstes betrieben wurden, aber auch für andere Geheimdienstmitarbeiter möglich waren (vor allem im Fall von Sicherheitshäftlingen). Misshandlungen durch Angehörige der Koalitionstruppen während Verhören erfolgten nicht systematisch, außer bei Personen, die verhaftet wurden, weil gegen sie der Verdacht von Sicherheitsvergehen bestand oder bei denen ein „Geheimdienstwert“ vermutet wurde. In diesen Fällen wurden Gefangene unter Aufsicht des Militärgeheimdienstes einer Vielzahl von Misshandlungen unterworfen, die von Beleidigungen und Erniedrigungen bis zu physischem und psychologischem Zwang reichten und in manchen Fällen den Grad von Folter erreichten, um sie zur Kooperation mit ihren Befragern zu zwingen. In bestimmten Fällen, wie in der Abteilung des Militärgeheimdiensts Abu Ghraib, schienen Methoden des physischen und psychologischen Zwangs Teil der regulären Vorgehensweise von Mitarbeitern des Militärgeheimdienstes zu sein, um Geständnisse zu erhalten und Informationen zu gewinnen. [...]

3.2 Abteilung des Militärischen Geheimdienstes „Abu Ghraib Strafvollzugsanstalt“

27. Mitte Oktober 2003 besuchte das IKRK Gefangene, die von Offizieren des Militärischen Geheimdienstes in der Einheit 1A, der „Isolationsabteilung“ des Gefängnisses „Abu Ghraib“, verhört wurden. Die meisten dieser Gefangenen waren Anfang Oktober verhaftet worden. Während des Besuches sahen und dokumentierten IKRK-Vertreter eine Vielzahl von Methoden, um die Zusammenarbeit der Gefangenen mit den Verhörenden sicherzustellen. Insbesondere beobachteten sie die Praxis, Gefangene vollständig nackt in völlig leeren Betonzellen und in völliger Dunkelheit zu halten, dem Vernehmen nach für mehrere Tage hintereinander. Als sie solche Praktiken feststellten, unterbrachen die IKRK-Vertreter ihren Besuch und forderten eine Erklärung der Behörden. Der verantwortliche Offizier des Militärischen Geheimdienstes erklärte die Praxis als „Teil des Prozesses“. Der Prozess schien eine Politik des Gebens und Nehmens zu sein, in dem Gefangene im Austausch für ihre „Kooperation“ stückchenweise mit neuen Gegenständen ausgestattet wurden (Kleidung, Bettzeug, Hygieneartikel, Beleuchtung etc.). Das IKRK besuchte auch andere Gefangene, die in völliger Dunkelheit gehalten wurden, andere in schummrig beleuchteten Zellen, denen gestattet worden war, sich anzukleiden, nachdem sie einige Zeit nackt gehalten worden waren. Einigen war Frauenunterwäsche gegeben worden, die sie unter ihrem Overall anziehen konnten (Männerunterwäsche wurde nicht ausgegeben), was die Gefangenen als demütigend empfanden.

Das IKRK dokumentierte andere Formen der Misshandlung, die für gewöhnlich mit den oben beschriebenen kombiniert wurden, inklusive Drohungen, Beschimpfungen, verbale Gewalt, Schlafentzug durch das Abspielen lauter Musik oder ständiger Beleuchtung in Zellen ohne Fenster, enges Verschnüren mit Handfesseln, die Blutergüsse und Wunden an den Handgelenken verursachen. Die Bestrafungen umfassten, nackt und gefesselt auf den Fluren herumzulaufen oder mit Frauenunterwäsche auf dem Kopf oder nackt oder bekleidet ans Bett oder an die Zellentür gefesselt zu werden. Einige Gefangene zeigten physische Spuren und psychologische Symptome, die zu diesen Vorwürfen passen. Der medizinische Beauftragte des IKRK untersuchte Gefangene, die Zeichen von Konzentrationsschwäche, Gedächtnisschwächen, Sprachschwierigkeiten, wirrer Rede, akuten Angstreaktionen, Verhaltensstörungen und Selbstmordneigungen zeigten. All diese Symptome schienen durch die Methoden und die Dauer der Verhöre verursacht zu sein. [...]

32. Am 1. April [2003] informierte das IKRK mündlich den politischen Berater des Kommandeurs der Britischen Streitkräfte beim Zentralkommando der Koalitionstruppen in Doha über Methoden der Misshandlung, die von Angehörigen des Militärischen Geheimdienstes bei Verhören Gefangener im Lager Umm Qasr angewandt wurden. Nach dieser Intervention wurde die systematische Benutzung von Kapuzen und Handfesseln in der Verhörabteilung von Umm Qasr sofort gestoppt. [...]

33. Im Mai 2003 sandte das IKRK ein Memorandum an die Koalitionstruppen, das auf über 200 Vorwürfen der Misshandlung von Kriegsgefangenen während ihrer Festnahme und Vernehmung an Sammelpunkten, Kampfgruppenstandorten und provisorischen Gefangenenstationen beruhte. Diese Vorwürfe stimmten mit den vom medizinischen Beauftragten festgestellten Spuren auf den Körpern überein. Das Memorandum wurde [...] beim US-Zentralkommando in Doha überreicht. Im Anschluss bestand eine Verbesserung darin, ausländischen Gefangenen nicht länger Armbänder mit der Aufschrift „Terrorist“ anzulegen.

34. Anfang Juli [2003] sandte das IKRK den Koalitionstruppen ein Arbeitspapier, in dem etwa 50 Vorwürfe über Misshandlungen in der Abteilung des Militärischen Geheimdienstes im Camp Cropper auf dem Internationalen Flughafen Bagdads festgehalten wurden. [...] Kurz nachdem diese Stellungnahme übersandt worden war, wurde die Sektion geschlossen und die Gefangenen wurden zu der späteren Abteilung „wertvolle Häftlinge“ auf dem Flughafen überstellt, einem regulären Gefangenenlager unter dem Kommando des 115. Militärpolizeibataillons. Von da an beobachtete das IKRK, dass die Misshandlung dieser Kategorie Gefangener stark nachließ und sogar aufhörte. [...]

5. Übermäßiger und unverhältnismäßiger Gebrauch von Gewalt gegen Gefangene durch die Gefängnisbehörden

45. Seit März 2003 verzeichnet das IKRK – und beobachtete in einigen Fällen – eine Reihe von Vorfällen, in denen Wärter auf Gefangene mit scharfer Munition schossen. Dabei handelte es sich entweder um Unruhen im Zusammenhang mit den Haftbedingungen oder um Ausbruchsversuche Einzelner:

[Es folgen drei Fälle aus dem Lager Cropper zwischen Mai und Juni 2003, zwei Fälle aus dem Lager Bucca von April und September 2003 sowie drei Fälle aus Abu Ghraib vom Juni bis November 2003. Über den Fall eines Gefangenen im Lager Bucca am 22. September 2003, der im Verlauf von Unruhen in die Brust geschossen wurde, heißt es:]

Die Untersuchung, die die Koalitionstruppen später durchführten, kam zu dem Schluss [...], dass der Gefangene „das Opfer eines gerechtfertigten Beschusses“ war. Ein IKRK-Gesandter und ein Übersetzer waren Zeugen der meisten Vorgänge. Zu keinem Zeitpunkt schienen die Gefangenen und das Opfer, auf das geschossen wurde, eine ernste Bedrohung für das Leben oder die Sicherheit der Wärter darzustellen, die auf die Situation mit weniger brutalen Methoden hätten reagieren können. Die Schüsse zeigten eine klare Verachtung für menschliches Leben und die Sicherheit von Gefangenen.

46. Diese Zwischenfälle wurden in einem Zusammenhang von den Koalitionstruppen untersucht. Sie kamen in allen Fällen zu dem Schluss, dass der Schusswaffengebrauch gegen alle Gefangenen legitim war, die, vielleicht bis auf [eine Ausnahme] in Abu Ghraib unbewaffnet waren und keinerlei ernste Bedrohung für irgendjemandes Leben darstellten, die den Einsatz von Schusswaffen rechtfertigen würde. [...]

7. Einsatz von Gefangenen bei gefährlichen Aufgaben

54. Am 3. September 2003 wurden im Lager Bucca drei Gefangene bei einer Explosion schwer verletzt, bei der es sich offenbar um eine Splitterbombe handelte. [Bei einem der Betroffenen seien beide Beide amputiert worden, bei dem zweiten beide Unterschenkel, beim dritten das linke Bein; d. Red]

Sie waren Teil einer Gruppe von zehn Gefangenen, die bei freiwilligen Arbeiten eingesetzt wurden, um Abfälle am Stacheldrahtzaun des Lagers zu beseitigen. [...]

55. Am 23. Oktober 2003 schrieb das IKRK an den Offizier, der die 800. Militärpolizei-Brigade befehligt, um eine Untersuchung des Vorfalls zu verlangen. Das IKRK ermunterte die Koalitionstruppen, Gefangene nicht für gefährliche Arbeiten heranzuziehen. [...]