Das Orchester stürmt das kalte Haus

In „Musik für Hochzeiten und Begräbnisse“ stellt die norwegische Regisseurin Unni Straume die Zeit still – bis der Musiker Goran Bregovic auftaucht

Es ist ein funktionales Designhaus, in dem Sara wohnt: minimalistische Möbel, ein karger Innengarten und ein im Boden des Wohnsalons versenktes Wasserbecken. Kalt und abgeschottet liegt der Betonbau, nahe am Wald und am Wasser, in karger norwegischer Landschaft. Peter, Saras Ex-Mann, hat das Haus entworfen und es ihr nach der Trennung überlassen. Saras Versuche, es sich anzueignen, sind gescheitert. Das kitschige Bild an der grauen Betonwand, ein barocker Stuhl neben den metallenen, der zu große Kühlschrank, der den Lichteinfall in der Küche behindert: All dies kündet von den zaghaften Bemühungen, gegen die Dominanz der Architektur, gegen Peters Willen, anzugehen. Doch solange die Grundmauern stehen, wird es für Sara keinen Neuanfang geben.

Unni Straumes „Musik für Hochzeiten und Begräbnisse“ ist ein atmosphärischer Film. Die Stimmung, die von Architektur und Natur ausgeht, steht im Vordergrund, vor ihr entfalten sich Dialoge und Handlungen. In langen Einstellungen hält Harald Paalgard (Kamera) diese Atmosphäre fest. Innen- und Außenaufnahmen des Hauses reihen sich aneinander, ohne in Verbindung zu stehen. Es sind Bilder stillgestellter Zeit, die langsam und machtvoll ihre Präsenz ausbreiten.

Geradlinig entwickelt sich zunächst die Handlung: Eine Frau Mitte vierzig hat endlich Erfolg als Schriftstellerin und ist im Begriff, mit ihrer Vergangenheit abzuschließen. Wenn Sara (Lena Endre) im Auto über einsame norwegische Landstraßen fährt, auf das Wasser blickt, dann ist sie ganz bei sich, dann scheint sich in dieser Isolation und Selbstbezogenheit der Weg für Veränderungen anzubahnen. Sara schafft den Aufbruch, ihr gelingt der erste Schritt, aber es bahnt sich damit eine Entwicklung an, die außerhalb ihrer Kontrolle gerät. Das Vergangene kommt nicht in isolierten Einheiten daher, die sie bloß aufzuarbeiten hätte. So kann Sara den Tod eines geliebten Menschen, der lange zurückliegt, erst jetzt, angesichts eines neuen Todesfalls, bewältigen – doch wird sie sich dazu selbst grundlegend wandeln müssen.

Der innerlich zerfressenen Sara hat Unni Straume den serbokroatischen Musiker Goran Bregovic entgegengestellt – und dies in zweifacher Form. Bregovic – dessen Kompositionen schon in verschiedenen Emir-Kusturica-Filmen die Balkan-Variante des savoir vivre untermalten – hat die Musik zu Straumes neuem Spielfilm geschrieben. Und in seiner Rolle als Saras Untermieter Bogdan stürmt er mit seinem Orchester durch das Haus; er durchkreuzt die bleierne Atmosphäre.

Im Gegensatz etwa zu Kusturicas „Underground“ unterstreicht Bregovic’ Musik hier nicht die Lebensweise und -welt von Menschen, sondern kontrastiert sie, zeigt Alternativen auf. Seine Musik umschließt Feiern und Trauern, Lachen und Weinen gleichermaßen. Und gerade in diesem Gegensatz, so scheint es, gelingt es den Personen, Boden unter die Füße zu bekommen, angesichts der absurden Möglichkeiten des Lebens ein Gespür für das Wesentliche zu erlangen.

Am Ende ist tatsächlich eine Wand in Saras kühlem Betonhaus durchbrochen. Der Kellerraum und die zum Vorschein gekommene Natur wirken plötzlich so anders. Das kalte, bläuliche Licht, in das zuvor Innen- und Außenansichten des Hauses getaucht waren, ist verschwunden: warmes, gelbliches hat es ersetzt. ANDREA EDLINGER