Spielraum für Himmelfahrt

Bildungssenatorin vergrößert die Klassen und erwirtschaftet damit 1.000 Lehrerstellen. Nur Hauptschulen werden geschont. Referendare erhalten keinen Job. Leichte Korrekturen beim Lehrerarbeitszeitmodell, bei Klassenreisen werden Kosten erstattet

von KAIJA KUTTER

Pünktlich zum Beginn der Himmelfahrtsferien versetzte Bildungssenatorin Alexandra Dinges-Dierig gestern der Bildungsszene den erwarteten Schlag. Sie will alle Klassen vergrößern und gleichzeitig „die Qualität der Schulen durchgreifend verbessern“, erklärte die parteilose Senatorin im 15. Stock ihrer Behörde im Beisein von protestierenden Referendaren. Letztere hatten erst am Vortag erfahren, dass es für 400 Absolventen außer in den Mangelfächern Musik, Physik, Sport und Chemie keine Einstellungschance gibt.

Das wäre wohl anders, wenn jetzt zum neuen Schuljahr nicht zum dritten Mal in Folge der Bedarf künstlich gedrosselt würde. Hamburg braucht zusätzliche Pädagogen, dass räumte Dinges-Dierig offen ein. So wird sie bis 2008 etwa 13.900 Stellen zur Verfügung haben. Gleichzeitig steigt aber die Schülerzahl um 5.000 auf rund 228.000 an. Zudem fehlt es an Lehrern für das verkürzte Abitur, nun doch geplante neue Ganztagsschulen und andere, noch nicht näher erklärte, „neue Konzepte“.

Um Spielraum zu haben, holte Dinges-Dierig jetzt zu einem brutalen Präventivschlag aus. Alle Klassen fast aller Schulformen werden vergrößert, um 1.000 Stellen für Umschichtungen und noch mal 81 als Sparbeitrag für die Stadtkasse zu erwirtschaften. Einzig ausgenommen sind die Hauptschulen.

Die Einsparung erfolgt über die so genannten „Basisfrequenzen“, die eine Klasse erreicht haben muss, um den Grundunterricht zu erhalten. Da diese recht niedrig sind, wirkt die Erhöhung rein optisch nicht so drastisch, wie sie tatsächlich ist. So erhalten beispielsweise die fünften und sechsten Klassen in Gymnasien eine Basisfrequenz von 26 Schülern statt bisher 25. Doch im gleichen Zug wird die so genannte „Organisationsfrequenz“ von 31 auf 32 Schüler erhöht.

An Grundschulen wird die Basisfrequenz von 23 auf 24 angehoben, als Organisationsobergrenze sind zum Schuljahrsende hier ebenfalls 30 Schüler angegeben. Da es nur für die Basisfrequenz noch keine Förder- und Teilungsstunden gibt, streben Schulleitungen stets diese Obergrenzen an.

Die härtesten Kürzungen treffen die gymnasiale Oberstufe (22 statt 20,5), die Mittelstufe der Realschule (22,5 statt 21) und die Unterstufe und Mittelstufe der Gesamtschulen (24 statt 22,5 und 21 statt 19,5). Ihr Basisfaktor wird jeweils um anderthalb Schüler erhöht, was eine faktische Kürzung der Lehrer-Versorgung um sechs bis sieben Prozent bedeutet. Um jeweils einen Schüler werden die Frequenzen aller Integrationsklassen erhöht.

Dinges-Dierig bekräftigte, dass diese Anhebung „pädagogisch vertretbar“ sei. „Der einzelne Lehrer merkt dies nicht“, behauptete sie. Die vollständige Umschichtung der 1.000 Stellen sei erst 2008 abgeschlossen. Bis dahin werde ein Teil der Stellen als „Auffangreserve“ benötigt, um etwa das Kursangebot an der Oberstufe bis zum Greifen neuer Schulstrukturen „sicherzustellen“. Insgesamt hält die Senatorin ein Drittel aller 430 Schulstandorte für zu klein.

Ein geringer Teil der 1.000 Stellen wird für die lang ersehnten Nachbesserungen beim Lehrerarbeitszeitmodell verbraucht. So erhalten Grundschullehrer Faktor 1,35 statt 1,3 und müssen auf einer vollen Stelle eine Stunde pro Woche weniger die künftig größere Klasse unterrichten (85 Stellen). Für die Organisation von Sportfesten gibt es zehn Stellen, weitere zehn für die überregionale Organisation von Musik- und Kunstveranstaltungen der Schulen. Für Klassenreisen gibt es keine Stundenentlastung. Aber Lehrern werden künftig die Reisekosten erstattet, was jedoch 30 Stellen kostet.

Unklar blieb, wie künftig „die Schwachen“ gefördert werden sollen. Dinges-Dierig kündigte lediglich an, dass das erfolgreiche Modell des „Praxistages“ an Hauptschulen ausgeweitet werden soll. Und die Zuweisung für Sprach- und Leseförderung soll auf Basis der in der Kess-Grundschulstudie ermittelten Sozialdaten neu verteilt werden. Zudem sollen 20 Prozent der Stellen in ein neues, noch nicht fertiges Konzept „umgeschichtet“ werden. Nicht mehr interessiert ist die Bildungsbehörde an der Erhebung des Sprachförderbedarfs, für den 250 Schulleiter von Januar bis März über 14.000 Vierjährige testeten. „Ich kenne die Zahlen nicht. Möglicherweise“, wand sich Schulaufsichtsleiter Norbert Rosenboom, „erheben wir das erst nächstes Jahr.“