Immer noch eine Zeitbombe

Michael Kleeberg libanesisches Reisetagebuch „Das Tier das weint“

Die deutsche Literatur lebt in einem nicht unbeträchtlichen Maße von der öffentlichen Hand. Neben den im Augenblick wieder etwas moderateren Honoraren für die Autoren und den vor allem im Fernen Osten erzielten Lizenzgebühren sind es die Subventionen aus Steuergeldern, die den vielen Berufsschriftstellern das Überleben ermöglichen. Literaturpreise und -stipendien, Druckkostenzuschüsse, Stadtschreiberposten und nicht zuletzt die vielen Reisen ins Ausland, die kulturelle Stiftungen und in der Hauptsache das Goethe-Institut organisieren und bezahlen, verhindern den ökonomischen GAU vieler Autoren. Denn wer nicht ab und zu einen guten Verkaufserfolg landet, wird von den Verlagen nur mehr mit geringen Vorschüssen abgespeist und muss sich seinen Unterhalt auf Lesetourneen erarbeiten.

So haben manche Autoren ihre Beteiligung am warmen Geldregen derart perfektioniert, dass sich ihr Terminplan wie der eines im internationalen Geschäft tätigen Managers liest. Heute Lesung in Hamburg, dann mit Goethe zwei Wochen nach Marokko im Rahmen eines Austauschprogramms für Lyriker, kurz eine mehrtägige Lesereise in der Schweiz eingeschoben, dann als Tutor zum Workshop ans Literaturinstitut nach Leipzig, anschließend Antrittslesung für den Stadtschreiberposten von Mainz, einen Monat Stipendium in der Villa Aurora an der amerikanischen Westküste und dann noch drei Monate mit der Siemens-Stiftung in den südostasiatischen Raum – so kann man seine Zeit auch verbringen.

Doch wann schreiben? Das geht natürlich nur mehr auf Reisen mit portablen Gerätschaften – und diese Lebens- und Arbeitsweise bleibt oft nicht ohne Folgen für die Themenauswahl. So hat Thorsten Becker in sein voluminöses „Tagebuch der Arabischen Reise“ (1991) den „Briefwechsel mit Goethe“ gleich integriert, so huldigt Christoph Geiser in seinem mit „Passagen“ untertitelten Buch „Über Wasser“ (2003) sogar zwei Stipendienorten: New York und Dresden. Nun hat auch Michael Kleeberg eine Einladung in den Libanon Anfang 2003 zum Anlass genommen, „persönliche Reiseaufzeichnungen, Gedanken, Erinnerungen und Abschweifungen“ in einem Tagebuch zu versammeln. Lustig ist, dass er in einer kleinen Vorbemerkung ausdrücklich „keinen Anspruch darauf erhebt, Unbekanntes oder Relevantes über den Libanon oder die Region des Nahen Ostens mitzuteilen“. Wozu dann ein „libanesisches Reisetagebuch?“, mag man sich fragen.

Erfreulicherweise entlarvt die Lektüre dieses Aperçu als kleine Koketterie, denn abgesehen von einigen kulturtouristischen Exkursen, reflektiert die Begegnung Kleebergs mit Abbas Beydoun, Rachid Daif und einigen anderen libanesischen Autoren und Journalisten die tickende Zeitbombe, auf der das ganze Land auch nach 15 Jahren Bürgerkrieg noch immer sitzt. Auch wenn der kollektive Handywahn das Land erfasst hat und Jogger und Mercedes fahrende Taxler das Stadtbild Beiruts beherrschen: Der Blutrausch des Bürgerkrieges und seine wahnsinnigen Geschichten köcheln in den Herzen der im Libanon lebenden Ethnien, und die Nachbarn scheinen nur auf das Signal zu warten, den Terror von damals zu wiederholen. Der Nahostkonflikt beherrscht alle Diskussionen.

Vor diesem Hintergrund relativieren sich die poetologischen und kulturhistorischen Einlassungen Kleebergs, die immer wieder den Text durchziehen; Persönliches, Familiäres wird dabei als Kontrastmittel einer die eigene (Autoren-)Identität problematisierenden Wahrnehmung eingesetzt. Wenn man aber liest, dass ein einheimischer Angestellter des Goethe-Instituts während des Krieges zu einem Zeitpunkt, da alle Ausländer längst das Land verlassen hatten, unter Gefährdung des eigenen Lebens täglich das Institut aufschloss, um einigen Studierenden den Besuch eines Sprachkurses zu ermöglichen, oder dass seine Frau aufgrund der in Beirut, der „weißen Stadt“, herrschenden Wasserknappheit damals das Flugzeug bestieg, um in Tripolis ihre schmutzige Wäsche waschen zu können, sagt dies mehr aus über die Geschichte eines Landes, als manche Literatur es vielleicht zu erzählen vermag.

Doch Kleeberg hat es aufgeschrieben und bewahrt; diese Details zu erfahren erscheint nachträglich als eigentlicher Sinn des Austauschprogramms „West-östlicher Divan“. Denn nun profitieren auch seine Leser davon. THOMAS KRAFT

Michael Kleeberg: „Das Tier, das weint. Libanesisches Reisetagebuch“. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2004, 174 Seiten, 17,90 Euro