„Kinder brauchen Jackass“

Seit 10 Jahren prüft die FSF das Programm der Privaten in Sachen Jugendschutz. Ein Gespräch mitFSF-Chef Joachim von Gottberg über den Unterschied zwischen Gefahr, Geschmack – und Zensur

INTERVIEW STEFFEN GRIMBERG

Die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) wacht über den TV-Jugendschutz – aber nur bei den Privatsendern. ARD und ZDF passen auf sich selbst auf. Die von den Privaten finanzierte FSF galt lange als Feigenblattveranstaltung. Dabei hat sie in den zehn Jahren ihres Bestehens von 5.811 zur Prüfung vorgelegten Sendungen 2.194 beanstandet und gar nicht – oder nur mit Auflagen wie späterer Sendezeit – aufs Publikum losgelassen.

taz: Herr Gottberg, vor zehn Jahren haben Sie die FSF erfunden. Warum eigentlich?

Joachim von Gottberg: Damals hatten die Privaten relativ viel Gewalt im Programm, auch indizierte, also im Kino gar nicht bzw. erst ab 18 zugelassene Filme. Es musste etwas getan werden.

Aber für den Jugendschutz waren doch schon damals die Landesmedienanstalten zuständig.

Klar, doch die können bis heute nur hinterher eingreifen, wenn alles schon gelaufen ist. Mit einem ziemlich langwierigen Verfahren, bis hin zu den Gerichten. Ich erinnere mich an einen Fall, wo nach fünf Jahren ein Urteil da war. Und der Sender sagte: Der Programmverantwortliche arbeitet längst nicht mehr bei uns.

Die FSF prüft – wie die fürs Kino zuständige FSK – vorab. Und seit dem neuen Jugendmedienstaatsvertrag vom letzten Jahr hat ihr Urteil jetzt sogar Gewicht.

Vorher hatten die FSF-Freigaben keine Verbindlichkeit, es galt nur das Votum der Landesmedienanstalten. Daher haben die Sender auch längst nicht alle relevanten Filme vorgelegt.

Seit dem Amoklauf in einem Erfurter Gymnasium 2002 wurde plötzlich alles anders: Es gab einen Ruck in Sachen Jugendschutz. Und plötzlich war auch die FSF offiziell anerkannt.

Ein sehr merkwürdiger Ruck, weil Erfurt mit Jugendmedienschutz nicht allzu viel zu tun hat. Die Diskussion um ein neues Gesetz trat da schon seit längerer Zeit auf der Stelle. Nach Erfurt ist das Ganze sehr schnell und holprig auf den Weg gebracht worden. Aber ich bin bislang positiv überrascht. Die Sender legen sehr viel vor – unsere Prüfungen sind um zwei Drittel angestiegen.

Das heißt pro Woche?

So rund 20 bis 25 Beiträge.

Jetzt haben wir die Talkshow-Debatte schon hinter uns, es läuft die Ekelshow-Debatte: „Ich bin ein Star, hol mich hier raus“, „Jackass“, „Fear Factor“.

„Fear Factor“ haben wir uns angeschaut. Aber unser Problem ist: Wir können mit unserem Instrumentarium kaum feststellen, was da wie Jugendliche beeinflusst. Man kann doch nicht sagen: Das ist ja eklig, das gehört abgeschafft. Dass jemand durch die Dschungelshow auf die Idee kommt, unbedingt seinen Kopf in einen Eimer voller Spinnen stecken zu müssen, halte ich für ziemlich unwahrscheinlich.

Aber Shows wie „Ich bin ein Star“ oder „Jackass“ sind schon hart an der Grenze.

Und es ist ein typisches Phänomen des Heranwachsens, dass man Grenzen ausprobiert. Das ist dann eine Phase, wo – provokant gesagt – Kinder ab einem gewissen Alter Sendungen wie „Jackass“ brauchen. Wir haben eine Generation, die extrem angepasst ist. Die rebellieren zu Hause kaum noch.

Die Generation Bausparvertrag eben.

Gerade die brauchen manchmal so was wie „Jackass“, um wenigstens medial auf die Kacke zu hauen. Und ich glaube nicht, das damit jetzt der Untergang des Abendlandes bevorsteht. Den haben meine Eltern ja schon in den Beatles und den Stones gesehen.

Segelt also unter dem Deckmäntelchen Jugendschutz eher die Geschmackszensur?

Dass die Erwachsenen so reagieren, ist doch okay. Die Jugendlichen wollen ja provozieren. Was ich schwierig finde, ist, dass der Jugendschutz etwas, was die Erwachsenenwelt als Tabubruch, ekelhaft oder unangenehm versteht, einfach verbieten soll. Weil er der Einzige ist, der das kann – es gibt zum Glück keine Geschmackszensur. Und dafür darf sich der Jugendschutz eben auf keinen Fall hergeben.